Ein Gedenkstein vor dem Kiosk in dem Mehmet Kubasik erschossen wurde

Kölner Podiumsdiskussion zum NSU

Behördenchefs wollen nichts verharmlosen, aber...

Stand: 09.05.2013, 15:25 Uhr

Während der NSU-Prozess in München unterbrochen ist, geht die Debatte über das Versagen der Behörden weiter. Beim Deutsch-Israelischen Juristentag in Köln diskutierten am Donnerstag (09.05.2013) Vertreter der Sicherheitsorgane über den Fall - und mussten harte Kritik einstecken.

Von Martin Teigeler

Zu Beginn der Diskussionsveranstaltung verlas Moderator Hans Leyendecker die Namen der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Schweigend und mit ernsten Mienen hörten die früheren und aktuellen Behördenchefs dem Journalisten der Süddeutschen Zeitung zu. Zu ihrer Jahrestagung in Köln hatte die Deutsch-Israelische Juristenvereinigung "viel Sachverstand" (Leyendecker) eingeladen, um die Frage zu erörtern, wie eine rechtsextreme Terrorzelle innerhalb von sieben Jahren unbehelligt von den Behörden zehn Menschen ermorden konnte.

Bedauern über "feige Verbrechen"

In seinem Einführungs-Statement betonte der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, er wolle den Fall NSU nicht verharmlosen, sondern "Fehler und Pannen" offen ansprechen. Gleichwohl kamen seine Ausführungen bei den rund 100 Juristen aus Deutschland und Israel teilweise als Rechtfertigung an. Einige Zuhörer reagierten mit Kopfschütteln und Stirnrunzeln auf Zierckes Vortrag. Der NSU sei "einmalig" in seiner Abschottung nach außen gewesen, sagte der BKA-Chef. Keineswegs habe die Polizei einseitig in Richtung Organisierte Kriminalität ermittelt. Vielmehr hätten damalige Ermittlungsansätze im braunen Milieu "nicht einen Hinweis aus der Szene" ergeben. Generalbundesanwalt Harald Range sagte bedauernd, die "feigen Verbrechen" seien erst "spät aufgeklärt" worden.

Der 2012 zurückgetretene Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, machte die Thüringer Behörden dafür verantwortlich, dass zahlreiche Hinweise auf die gewaltbereiten ostdeutschen Neonazis nicht ans Bundesamt weitergeleitet worden seien. Sarkastisch sagte Fromm mit leiser Stimme, im Fall NSU habe sich "das föderale System in voller Pracht" gezeigt. Ziercke und Fromm verteidigten das heute höchst umstrittene Vorgehen der Sicherheitsorgane, die Motive und Ausführer der Taten in einem vermeintlichen kriminellen Ausländer-Milieu zu suchen. Es habe damals Hinweise dazu gegeben, sagte Ziercke, die Polizei habe dies "nicht frei erfunden". Fromm berichtete, im Jahr 2000 sei ja tatsächlich ein türkischer Kleinhändler aus Stuttgart in Istanbul ermordet worden. Darum hätten Ermittler einen ähnlichen Tathintergrund auch bei der Mordserie auf acht türkischstämmige und einen griechischen Geschäftsmann in Deutschland für möglich gehalten. Mittlerweile wisse man, dass der Verdacht falsch gewesen sei.

"Wie Kriminelle behandelt"

In der anschließenden Fragerunde ernteten die Behördenchefs reichlich Widerspruch und Kritik. Eine junge Juristin aus Berlin warf Ziercke vor, die NSU-Taten zu verharmlosen. Auch die These von der kleinen, abgeschotteten Terrorgruppe sei nicht zu halten. Die NSU-Aktivisten hätten Kontakte zu anderen Rechtsextremisten gepflegt und sogar Neonazi-Demos besucht. Ein anderer Zuhörer warf der Polizei vor, die Angehörigen der NSU-Opfer "wie Kriminelle behandelt" zu haben. Die deutsche Polizei sei "auf dem rechten Auge blind". Ziercke wies diesen Vorwurf zurück. Es gebe allerdings "Einzelfälle", in denen Polizisten dann auch aus dem Staatsdienst entfernt worden seien, räumte er ein.

Viele Fragen blieben in der Diskussion unbeantwortet? Man hätte beispielsweise schon gern gewusst, wie nach dem Auffliegen des NSU im Bundesamt für Verfassungsschutz insgesamt 310 Akten zum Rechtsextremismus geschreddert werden konnten. Kann es Zufall sein, dass am Tag des Mordes an einem Internetcafé-Betreiber 2006 in Kassel ein V-Mannführer des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort war? Wie viele V-Leute gab es im erweiterten Umfeld des NSU? Bei den Zuhörern im Köln sorgte noch eine missverständliche Äußerung Fromms für lautes Geraune. Wenn es sich bei den Mordopfern um Juden gehandelt hätte, so Fromm, wäre die Reaktion von Behörden und Medien damals sicher eine andere gewesen.