WESTPOL über das Benehmen im Netz

Hetzjagd im Internet

Stand: 17.04.2015, 19:07 Uhr

Als der grüne Landtagsabgeordnete Arif Ünal einen Antrag in den Landtag einbrachte, ahnte er nicht, welch' negative Folgen das für ihn haben würde: Hunderte Hetzmails, Kommentare und Drohungen. Ist Hetze im Netz zum Alltag geworden? Und was kann man dagegen unternehmen?

Von Rainer Striewski

Es begann mit seiner Vereidigung als Abgeordneter des NRW-Landtags 2010: Arif Ünal, über die grüne Landesliste in den Landtag eingezogen, war eine Formulierung in der Eidesformel aufgefallen: Statt "auf das Wohl des deutschen Volkes" könne man seinen Eid als Parlamentarier doch besser "auf das Wohl aller Menschen in NRW" leisten, dachte er sich - schließlich leben zwei Millionen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft in NRW. Also brachte Ünal mit seiner Fraktion einen entsprechenden Antrag in den Landtag ein.

Doch damit begann die Hetze aus dem Netz: "Innerhalb von 15 Minuten hatten wir über 500 Mails", erinnert er sich im Gespräch mit WESTPOL. Viele Kommentare hätten sich dabei nicht mit dem Antrag auseinandergesetzt, sondern eher mit Ünals ethnischen und religiösen Hintergrund. Von den Absendern wurde er etwa gefragt: "Was sucht ein Türke im Landtag?" Oder aufgefordert: "Hau ab, wenn es Dir nicht gefällt." Am meisten ärgert ihn auch heute noch die eigene Machtlosigkeit. "Dass man dagegen nichts tun kann, das macht mich wütend", so Ünal.

Wie sollte man sich bei Beleidigungen im Netz verhalten? Wann spricht man von Hetze? Wir haben einige Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt - und beginnen mit einer Frage an unsere Nutzer:

Soll man im Internet nur mit Klarnamen kommentieren dürfen?

Ja
55,5 %
Nein
44,5 %

Was kann man gegen Beleidigungen unternehmen?

Wird man im Netz beleidigt, so rät Frank Scheulen vom Landeskriminalamt (LKA) NRW grundsätzlich dazu, Strafanzeige bei der örtlichen Polizeibehörde zu erstatten. "Egal, um welches Delikt es sich handelt: Sobald jemand Opfer einer Straftat geworden ist und diese bei der Polizei anzeigt, werden die polizeilichen Ermittlungen eingeleitet." Insgesamt 50.000 Fälle von Beleidigungen hätten die Behörden in NRW im Jahr 2014 bearbeitet, davon 3.000 im Zusammenhang mit dem Internet - mit einer "hohen Aufklärungsquote von 70 Prozent", so Scheulen.

Dabei reagieren die Beamten nicht nur auf Anzeigen betroffener Bürger. Eine eigene Abteilung im LKA ist ständig auf der Suche nach Straftaten im Netz. Diese Suche konzentriere sich zwar hauptsächlich auf Delikte wie Kinderpornografie. "Aber wenn wir in den sozialen Netzwerken strafrechtlich relevante Dinge sehen, werden die von uns festgestellt und zur Anzeige gebracht", so Scheulen. Gleichzeitig muss er aber auch eingestehen: "Wir können als deutsche Polizei nicht jede Straftat im Internet entdecken und verfolgen. Wir können das Internet nicht säubern."

Wo liegt die Grenze zwischen Kritik und Beleidigung?

"Wenn der sachliche Grund fehlt, beleidige ich", erklärt Prof. Karl-Nikolaus Peifer vom Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht an der Uni Köln. So wäre beispielsweise die Äußerung "Du bist ein Idiot, weil du dir in der Schule dieses Verhalten deines Lehrers hast gefallen lassen", eine reine Kritik. Der Ausspruch "Du Idiot!" wäre hingegen eine Beleidigung, sagt Peifer. Beleidigungen finden also in der Regel zwischen zwei Personen statt.

Kritischer wird es, wenn Dritte gegen eine Person aufgehetzt werden, etwa weil diese Person einer bestimmten Gruppe angehört. "Das geht dann in die Richtung Volksverhetzung", sagt Peifer. Und diese Hetze könne sich schlimmstenfalls binnen Minuten im Netz verbreiten. "Wenn der Sturm im Netz einmal losgetreten ist, dann ist diese Lawine nicht mehr aufzuhalten. Da können Sie mit der Bergrettung nicht mehr kommen", so der Rechtswissenschaftler. Betroffene sollten sich dann an die Unternehmen wenden, die die fragwürdigen Inhalte veröffentlichen. "Dieser Diensteanbieter kann den Inhalt dann zumindest kurzzeitig sperren", so Peifer. Dadurch könnte eine virale Verbreitung verhindert werden. Nachrichtenportale oder soziale Netzwerke müssten dafür ihre Kommentarfunktion kurzzeitig ausschalten. "Technisch ist das kein Problem."

Wie kann der Hetze begegnet werden?

Eine Ursache für Hetze im Netz sehen Experten in der Anonymität des Internets. Würde jeder Nutzer verpflichtetet werden, mit seinem Klarnamen im Netz unterwegs zu sein, würde das sicher einen Unterschied machen, meint Prof. Peifer. Aber: "Die anonyme Äußerung im Netz ist durch die Verfassung geschützt", gibt der Jurist zu bedenken. Anonymität wäre beispielsweise wichtig bei Informanten der Presse oder Tippgebern in Unternehmen. "Auch im Netz brauchen wir Raum für anonyme Äußerungen." Allerdings müsse man bei klaren und gravierenden Rechtsverletzungen auch über Ausnahmen nachdenken.

Wie geht der WDR mit Kommentaren von Usern um?

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