NRW-Landesarchiv in Duisburg

Ex-Staatssekretär vor BLB-Ausschuss

"Unfassbarer Dilettantismus beim BLB"

Stand: 26.09.2014, 18:33 Uhr

Die Kosten für das Landesarchiv in Duisburg sind explodiert. Doch niemand will's gewesen sein. Im U-Ausschuss zum BLB-Skandal hat am Freitag (26.09.2014) Ex-Staatssekretär Grosse-Brockhoff ausgesagt. Eine Mitschuld an der Kostenexplosion bestreitet er. Dem BLB aber wirft er "unfassbaren Dilettantismus" vor.

Von Rainer Kellers

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) ist gut vorbereitet. Zu Beginn seiner Vernehmung als Zeuge vor dem BLB-Untersuchungsausschuss des Landtags verliest er eine mehrseitige Erklärung. Es geht darin um das Landesarchiv in Duisburg, das zum Sinnbild des Skandals rund um den Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) geworden ist. Grosse-Brockhoff war bis 2010 Staatssekretär für Kultur in der schwarz-gelben Landesregierung von Jürgen Rüttgers (CDU). Er war in der Staatskanzlei maßgeblich an den Planungen des superteuren Archivs beteiligt. Er hat Entscheidungen getroffen und an wichtigen Verhandlungen teilgenommen. Doch hat er auch eine Mitschuld daran, dass Steuergeld in Millionenhöhe verschwendet wurde? Dass die Kosten des Archivs von rund 30 auf über 196 Millionen geradezu explodierten?

Grosse-Brockhoff: "Geplant wie Klein-Erna"

Nein, beteuert Grosse-Brockhoff. Die Verantwortung für die nicht erklärbare Kostensteigerung liege allein beim BLB und seinem damaligen Chef Ferdinand Tiggemann. Von Anfang an sei der BLB mit dem Projekt überfordert gewesen und habe versucht, das zu verschleiern. Ihm, Grosse-Brockhoff, sei nie klar geworden, warum die Kosten eigentlich derart aus dem Ruder gelaufen seien. "Es gab keine Kalkulation. Die haben geplant wie Klein-Erna beim Häuschenbau", sagt der Ex-Staatssekretär. Dass es so einen Dilettantismus in einem Land wie NRW geben könne, mache ihn fassungslos.

Staatssekretär gibt Mitschuld zu

Grosse-Brockhoff

Archivbild: Ex-Staatssekretär Grosse-Brockhoff

Gut gebrüllt, möchte man meinen. Doch ganz schuldlos an der Misere des Landesarchivs ist Grosse-Brockhoff freilich nicht. Das gibt er später auf Nachfrage auch zu. Die politische Verantwortung dafür, dass ein alter Speicher im Duisburger Innenhafen ausgesucht wurde, um ein Archiv darin unterzubringen, ja, die liege auch bei ihm. Es gibt nicht wenige, die diese politische Standort-Entscheidung für den Kern des Problems halten.

Ursprünglich sollte das neue Archiv des Landes in Düsseldorf "auf der grünen Wiese" gebaut werden. Dann aber, Ende 2005, beschloss das neue schwarz-gelbe Kabinett unter Ministerpräsident Rüttgers, einen Standort im Ruhrgebiet zu suchen. Düsseldorf sei bereits "gesättigt", hieß es. Außerdem lief zu dem Zeitpunkt die Bewerbung des Ruhrgebiets um den Titel Kulturhauptstadt 2010. Das sollte unterstützt werden. Also suchte die Staatskanzlei unter der Führung Grosse-Brockhoffs nach einem geeigneten Standort im Ruhrgebiet. Im Duisburger Innenhafen wurde man schließlich fündig. Damit begannen die Probleme.

Warnende Stimmen wurden nicht gehört

Grosse-Brockhoff erzählt, dass das Speichergebäude mit dem charakteristischen Turm allen Entscheidern als besonders geeignet erschienen war. Eine Machbarkeitsstudie kam zu diesem Ergebnis. Der BLB versicherte, dass die Baukosten sogar noch geringer ausfielen als beim Neubau auf der grünen Wiese. Und auch später beim Architekturwettbewerb bekräftigte der Sieger, mit 35 Millionen Euro auskommen zu können. Warnende Stimmen wie die des Ex-Präsidenten des Landesarchivs, Professor Winfried Reinighaus, wurden nicht gehört. Dieser sagte vor vier Wochen im U-Ausschuss, der Speicher sei für ein Archiv völlig ungeeignet gewesen. "Ein Archiv baut man in die Breite, nicht in die Höhe." Der Professor kritisierte Staatssekretär Grosse-Brockhoff deutlich. Für diesen habe nie die Funktionalität des Baus im Vordergrund gestanden, sondern die Ästhetik.

Kosten, die ins Uferlose stiegen

Letztlich ist der Speicher vor allem deshalb so teuer geworden, weil das eigentlich ungeeignete Gebäude mit großem Aufwand tauglich gemacht werden musste. So wurden zum Beispiel nachträglich alle Decken im Turm massiv verstärkt. Grosse-Brockhoff sieht bei sich aber keine Schuld an diesen Kosten. Es habe zwar den politischen Willen gegeben, in Duisburg zu bauen. "Aber das war kein Freibrief für Kosten, die ins Uferlose steigen." Die Staatskanzlei sei zudem "nur Mieter" gewesen. Für die Kalkulation sei alleine der BLB verantwortlich gewesen. Und der habe immer wieder versichert: Alles sei kein Problem.

Nicht nachvollziehbare Grundstücksgeschäfte

Als treibende Kraft beim BLB beschreibt Grosse-Brockhoff den ehemaligen Geschäftsführer Tiggemann. Dieser soll Grosse-Brockhoff lange beschwichtigt haben, nach dem Motto: Lass mich mal machen. Selbst als der Kauf der Grundstücke in Duisburg geplatzt war, weil sie dem Land vom Investor Köbl/Kruse vor der Nase weggeschnappt worden waren, sah Tiggemann kein Problem. Man könne mit Köbl/Kruse ins Geschäft kommen, ohne dass sich an den Kosten etwas ändere, soll der BLB-Chef gesagt haben. Am Ende zahlte das Land statt 3,9 Millionen Euro fast 30 Millionen Euro nur für die Grundstücke. "Mir ist bis heute schleierhaft, wie dieser Preis zustande gekommen ist", sagt Grosse-Brockhoff. Gegen Tiggemann ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue und Bestechlichkeit.

Irgendwann zog das Kabinett die Reißleine

Auch ansonsten stiegen die Kosten bald sehr schnell. Im August 2008 war von 35 Millionen Euro keine Rede mehr. Stattdessen waren es plötzlich 135 Millionen Euro. Und obwohl Grosse-Brockhoff behauptet, diese Steigerung nicht nachvollziehen zu können, akzeptierte das Land. Die an den BLB zu zahlende Jahresmiete stieg von vier auf sechs Millionen Euro. Als es dann aber immer noch teurer wurde, zog irgendwann das Kabinett die Reißleine. Keine weitere Mieterhöhung, soll Ministerpräsident Rüttgers gesagt haben. Trotzdem stiegen die Kosten weiter - auf jetzt rund 196 Millionen Euro. Das Land zahlt gut sieben Millionen Euro Miete.

Warum Rüttgers nicht viel früher durchgegriffen und ein Machtwort gesprochen hat, wird er dem Ausschuss selbst erklären müssen. Als vorerst letzter Zeuge zum Landesarchiv sagt der Ex-Ministerpräsident voraussichtlich am 31. Oktober aus.

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