Userfragen zu Familien-Gutachten

"Aufs Tiefste gedemütigt"

Stand: 14.10.2014, 06:00 Uhr

Die Doku "Wenn Gerichtsgutachten Familien zerstören" erzählt die Geschichten von betroffenen Familien. Im Social TV hatten User am Montagabend (13.10.2014) Gelegenheit, ihre Fragen an den Psychologen Stefan Stürmer und Beitragsautor Jan Schmitt zu stellen. Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Von Insa Moog

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Ab 20.15 Uhr, mit Beginn der Ausstrahlung (13.10.2014) im WDR Fernsehen und für zwei Stunden, standen der Psychologe Prof. Stefan Stürmer und der Autor des Films, Jan Schmitt, für Fragen und Meinungsäußerungen über Facebook, Twitter und das Kommentarfeld im Chatfenster zur Verfügung. Hier eine Auswahl besonders interessanter Nutzerfragen, Kommentare und Expertenantworten.

Begutachtung ablehnen?

Eine Userin fragt, ob jeder eine Begutachtung ablehnen kann. "Ja, jeder hat das Recht dazu", antwortet Jan Schmitt. "Ein Problem könnte erfahrungsgemäß darin bestehen, dass die Ablehnung vor Gericht negativ ausgelegt wird. Man sollte deswegen darauf achten, durch den Rechtsbeistand eine fundierte Begründung für die Ablehnung formulieren zu lassen." Ob man die Wahl des Gutachters beeinflussen könne, indem man auf dessen Approbation bestehe, fragt Userin "Mama". Allzu große Hoffnungen kann Stefan Stürmer ihr nicht machen. "Jeder Verfahrensbeteiligte hat die Möglichkeit, Gutachter vorzuschlagen. Allerdings ist das Gericht nicht an diese Vorschläge gebunden. Typischerweise bestellt das Gericht einen eigenen Gutachter."

Gegen ein falsches Gutachten vorgehen

Und wenn man Opfer eines Fehlgutachtens geworden ist? "Mami" fragt, was zu tun sei, wenn man nachweisen könne, dass ein Gutachten falsch ist, man aber "alle Instanzen durchlaufen" habe. Stefan Stürmer: "Wenn 'alle Instanzen durchlaufen' heißen soll, dass alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, bleibt leider nur die Möglichkeit, nach einer gewissen Frist einen erneuten Antrag zu stellen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass der Gutachter befangen ist." Einen Gutachter anzuzeigen, ist dennoch schwierig. "Das hängt vom Einzelfall ab", kommentiert Stefan Stürmer. "Prinzipiell dürfte dies allerdings sehr schwer nachweisbar sein. Auch im Bezug auf die Gutachterhaftung ist die Rechtssprechung sehr konservativ."

Ein Gegengutachten ist auch aus einem anderen Grund oft keine Lösung. "Erwähnt werden sollte, dass sogenannte Gegengutachten ca. 2.000 bis 3.000 Euro kosten. Unser gerichtliches GWG Gutachten hat allein über 12.000 Euro gekostet. Hälftigen Anteil trage ich", empört sich der User "Elternteil 2. Klasse." Autor Jan Schmitt stimmt zu. "Betroffene müssen die Kosten für die familienpsychologischen Gutachten selbst tragen. Das ist umso belastender, wenn es sich nachweislich um fehlerhafte Begutachtungen handelt." Stefan Stürmer ergänzt: "Das Gericht muss ein solches Gegengutachten berücksichtigen. In der Rechtspraxis ist dieses Vorgehen allerdings nicht unproblematisch, da man dadurch auch das Wohlwollen des Gerichtes riskieren kann. Es gibt auch zivilrechtliche Möglichkeiten nach dem BGB (Haftungsparagraph), allerdings gibt es auch hier sehr hohe Hürden. De facto besteht für Betroffene eine Schutzlücke. Umso wichtiger ist die gesetzliche Regelung der Qualifikation von Gutachtern."

Dauer des Verfahrens

"Als langjähriger Familienrichter bin ich sehr dankbar für diesen Beitrag", schreibt "Insider". Tatsächlich seien Familienrichter aus ihrer Ausbildung heraus nicht in der Lage, die entscheidende Frage des Kindeswohls wissenschaftlich qualifiziert zu beantworten. "Wenn ich einen Gutachter gefunden hatte, dessen (oder deren) Gutachten ich überzeugend fand, waren solche Gutachter zeitlich völlig überlastet. Was nutzt ein Gutachten in Umgangsverfahren, wenn es nach 12 Monaten eingeht?" Die Dauer des Verfahrens, offenbar ein verbreitetes Problem.

"Was kann man tun, wenn der Sachverständige wieder und wieder neue Termine für die Abgabe seines Gutachtens abgibt und die Richterin sich nicht kümmert?", möchte auch User "Holygrail" wissen. Die Dauer der Begutachtungsverfahren sei auch bei einem Gesprächstermin im Bundesministerium der Justiz Thema gewesen, antwortet Stefan Stürmer. Ein Bewusstsein für die Problematik gibt es also. "Auch hier ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber zukünftig Regelungen schafft, die diesem Missstand abhelfen. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil aufgrund der kindlichen Entwicklung durch die lange Verfahrensdauer Fakten geschaffen werden", so Stürmer.

Beide Elternteile werden begutachtet

"Ich bin wirklich schockiert, wie kann das sein, dass man so mit Kindern umgeht", schreibt Userin Chrissy. Ob Mütter auch begutachtet würden, fragt sie. "Ich bin selber Mutter und geschieden. Der Vater und ich haben uns allein geeinigt. Denn das Wohl unseres Kindes ist uns beiden wichtig und es braucht Vater und Mutter." Von Richtern wünsche sie sich, dass diese sich intensiver mit den angeforderten Gutachten auseinander setzten. "In der Regel werden beide Elternteile begutachtet", antwortet Jan Schmitt und pflichtet ihr bei, "auch die Ausbildung der Richter bei Familiengerichten wird oft nicht dem hohen Gut des Kindeswohls gerecht." 

Die Einschätzung von einer anderen Seite werde dabei grundsätzlich nicht gehört. "In meinem Beruf im Pflegekinderwesen werden von Richtern wie auch von Jugendämtern und Gutachtern die Fachberater, die direkt mit dem Kind in kontakt sind, zu wenig gehört." User "Guten Abend" argumentiert: "Wir haben nicht nur Kontakt mit den Kindern, sondern oft auch mit dem familiären System. Wir begleiten Besuchskontakte, vermitteln und erhalten einen umfassenderen Einblick und Einschätzungen als Gutachter und Richter." Das persönliche Fazit: "Dies ist Ressourcenverschwendung und oft leiden die Kinder dadurch."

Und die Sachverständigen selbst?

Seit knapp zehn Jahren arbeite er als Sachverständiger für Familiengerichte, schreibt ein User. "Die heutige Dokumentation öffnet nur einen Spalt mit Blick auf die teils menschenunwürdigen Gerichtsverfahren." Seine Schlussfolgerung laute, "dass Eltern, die sich um ihr gemeinsames Kind streiten, nicht vor einen Richter gehören". Julia Schäfers, die sich ebenfalls als Sachverständige bezeichnet, möchte dagegegen "einige Aussagen nicht unwidersprochen stehen lassen". Es geht ihr um die viel besprochene angeblich mangelhafte Ausbildung ihres Berufsstandes. "Die Psychotherapeutenkammer NRW qualifiziert in Zusammmenarbeit mit dem OLG Hamm approbierte PsychotherapeutInnen zu Sachverständigen." Diese Qualifikation entspreche wissenschaftlichen und damit nachprüfbaren Standards. "Diese kammerzertifizierten Sachverständigen kann jedes Gericht problemlos über die Sachverständigenlisten, einsehbar im Netz über die Kammer in NRW, erreichen", schreibt Julia Schäfers.

Alternative: Mediation

User G. Müller kritisiert zwar nicht die Qualifikation der Sachverständigen, warnt aber aus anderen Gründen vor der Begutachtung: "Menschen, die vormals 'normale' Eltern waren, werden aufs Tiefste gedemütigt und entwertet. Zwischen Eltern wird von Staatswegen das Konfliktpotential erhöht. Mit Beginn eines Gutachtens werden die Eltern in den Kampf geschickt." Auch ein anderer User ("ein Vater") verweist auf die Schmerzen, die das Begutachtungsverfahren verusachen kann. "Ich musste Dinge über mich ergehn lassen, die ich niemandem wünsche und die ich nie wieder erleben möchte. Doch am Ende gibt es keine Gewinner. Das Kind leidet unter den Prozessen und Gutachten und die Eltern gehn auch kaputt." Aus seiner Sicht seien die Rechtssituation und ihre Vertreter die Täter, so wie in der Doku auch angeklungen sei. User G. Müller fordert, dass Eltern bereits zu Beginn des Verfahrens eine Mediation oder eingehende Beratung wahrnehmen müssen sollten. "Wenn kein Rennen um den besseren Elternteil zugelassen wird und wenn Richter mehr Zeit und Qualität vorweisen können, werden Gutachten überflüssig."

Bilanz der Experten

"Ich war beeindruckt von der Vielzahl der Anfragen, die nur bestätigt, dass hier ein hochrelevantes Thema aufgegriffen worden ist", resümiert Stefan Stürmer. "Viele Schilderungen beschreiben genau das, was wir in unserer Studie beobachtet haben." Und auch Autor Jan Schmitt fühlt sich in seinem Anliegen wahrgenommen. "Es gab zahlreiche Hinweise und Anregungen, an dem Thema dran zu bleiben und weiter zu recherchieren."

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