Losverfahren zum NSU-Prozess

Sabah, Hürriyet und das Desinteresse in der Türkei

Stand: 29.04.2013, 18:30 Uhr

Die Würfel sind gefallen: Nach langen Querelen stehen die Medienplätze beim NSU-Prozess fest. Mehrere türkische Medien sind dabei. Das Interesse in der Türkei sei aber äußerst gering, sagt WDR-Redakteurin Ayca Tolun. Sie berichtet für die ARD.

WDR.de: Im ersten Verfahren waren Sie gesetzt. Haben Sie Ihren Platz behalten dürfen?

Ayca Tolun: Ja. Für den kompletten ARD-Hörfunk haben wir drei Plätze erhalten. Auf diesen Plätzen werden wir rotieren und für alle ARD-Sender berichten. Nach jetzigem Stand werde ich die ersten drei Tage dabei sein.

WDR.de: Welche türkischen Medien haben einen Platz erhalten?

Ayca Tolun

Journalistin Ayca Tolun

Tolun: Zeitungen, Fernsehsender und eine Nachrichtenagentur sind zugelassen. Von den Zeitungen werden Sabah, Hürriyet und Evrensel berichten. Vor allem Sabah ist froh, weil sie das neue Vergabeverfahren mit ihrer Klage in Gang gesetzt hat. Der türkische Ableger des Fernsehsenders Al Jazeera hatte auch Erfolg, obwohl er noch nicht auf Sendung ist. Mit Ebru TV ist ein kleiner Nischensender akkreditiert, der der umstrittenen Gülen-Bewegung angehört. Der Sender ist so klein, dass er vermutlich überhaupt keinen Kollegen nach München schicken wird. Als türkische Nachrichtenagentur berichtet Ihlas Haber Ajansi.

WDR.de: Sind die türkischen Medien mit der Vergabe zufrieden?

Tolun: In der Türkei hat man sich bislang für den NSU-Prozess überhaupt nicht interessiert. Die Morde sind dort vollkommen unbekannt. In der Türkei interessiert man sich nicht für das Ausland. Das ist ähnlich wie in den USA. In Deutschland sind die türkischen Medien nur mit wenigen Journalisten vertreten. Einige Zeitungen wie Sabah und Hürriyet haben zwar Deutschland-Büros und geben Deutschland-Beilagen heraus, die erscheinen aber nicht in der Türkei. Wenn es hier nicht diese wahnsinnige Diskussion um die Platzvergabe gegeben hätte, dann hätte in der Türkei niemand etwas von dem Prozess mitbekommen. Das sieht man auch an den Bewerbungen: Bei dem ersten Verfahren hatten sich neun türkische Medien angemeldet, jetzt waren es 36. Über die heutige Verlosung steht in den türkischen Zeitungen und im Internet kein Wort. Allein in den Deutschland-Ausgaben gab es kleinere Geschichten. Die türkischen Nachrichtensender berichten nur in knapper Nachrichtenform.

WDR.de: Mit Blick auf die große Debatte in Deutschland überrascht mich das.

Tolun: Auch beim Prozess wird folgendes Phänomen eintreten: Die türkischen Medien werden maximal eine Woche an dem Thema interessiert sein. Sobald die Familien der Opfer abgereist sind, werden auch die türkischen Medien verschwinden. Sie haben nicht das Personal, um den Prozess komplett abdecken zu können. Ohnehin interessiert man sich in der Türkei kaum für die türkisch-stämmigen Migranten in Deutschland. Es sei denn, der türkische Ministerpräsident Erdogan ärgert mit seinen Äußerungen Bundeskanzlerin Merkel oder gleich die gesamte deutsche Öffentlichkeit.

WDR.de: Sie werden auch für türkische Medien berichten.

Tolun: Ja, ich habe gerade eben einen Anruf von dem türkischen Nachrichtensender n-tv bekommen, der leider keinen Platz erhalten hat. Ich werde als Gesprächspartner und O-Ton-Geber zur Verfügung stehen.

WDR.de: Journalisten beklagen, dass durch strikte Vorgaben des Gerichts die Arbeit erschwert wird. Wie sehen Sie das?

Tolun: Bisher sieht die Gerichtsverfügung so aus, dass wir im Gerichtssaal nicht online arbeiten dürfen. Wir können somit weder Notizen noch E-Mails nach draußen schicken. Wir dürfen auch nicht hinausgehen und telefonieren. Sobald man seinen Platz verlässt, verliert man ihn. Dann rückt der nächste Journalist auf der Liste nach. Im Moment sieht es so aus, dass der Journalist im Saal nicht berichten kann und der Kollege draußen nichts mitbekommt. Wir werden versuchen, in Pausen Informationen nach draußen zu geben.

WDR.de: Am 6. Mai geht es endlich los. Sind Sie schon gespannt?

Tolun: Ja, aber eher, was die Atmosphäre vor Ort angeht. Denn so interessant werden die ersten Tage nicht sein. Vor allem werden die Namen der Kläger, Nebenkläger und Sachverständigen vorgelesen. Zudem gibt es die Vereidigungen. In den ersten Tagen werden wir mehr über die Umstände der NSU-Morde berichten.

Das Interview führte Fabian Wahl.

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