Betende in einer Ahmadiyya Moschee

Muslimgemeinde wird öffentlich-rechtlich

"Ein konsequenter Schritt"

Stand: 14.06.2013, 16:32 Uhr

Als erstes Bundesland hat Hessen eine islamische Gemeinde zur Körperschaft öffentlichen Rechts erklärt. Damit verbunden sind eine Reihe von Privilegien. Ein überfälliger Schritt, sagt Islamwissenschaftler Jörgen Klußmann. Er erwartet, dass NRW nachzieht.

Andere Glaubensgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts gelten, sind neben der katholischen und der evangelischen Kirche die Jüdische Gemeinde, aber auch die Zeugen Jehovas zählen dazu. Mit dem öffentlich-rechtlichen Status sind bestimmte Privilegien verbunden: So darf die Gemeinde Steuern von ihren Mitgliedern erheben und ist baurechtlich besser gestellt. In Hessen betreut die nun zur Körperschaft öffentlichen Rechts erklärte Gemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat gemeinsam mit dem Verband Ditib den islamischen Religionsunterricht, der ab kommendem Schuljahr dort eingeführt wird.

Unter islamischen Verbänden ist diese Gemeinde nicht unumstritten, sagt Islamwissenschaftler Jörgen Klußmann. Als Studienleiter der Evangelischen Akademie im Rheinland spricht er fließend arabisch und kennt viele kleine islamische Verbände.

WDR.de: Was ist über Ahmadiyya Muslim Jamaat bekannt?

Jörgen Klußmann

Islamwissenschaftler Jörgen Klußmann

Jörgen Klußmann: Die Ahmadiyya gehört weltweit zu den kleineren islamischen Gruppierungen. Sie ist 1889 in Indien gegründet worden und hat von Anfang an ihre pazifistische Haltung und ihre friedliche Mission betont. Innerhalb der islamischen Welt ist die Ahmadiyya umstritten, weil sich ihr Gründer damals als Nachfolger des Propheten gesehen hat. Dass Mohammed also nicht der letzte Prophet gewesen sei, steht im Widerspruch zur offiziellen Lehre des Islam, wie er zum Beispiel von den Sunniten propagiert wird.

WDR.de: Der Bundesvorsitzende der Gemeinde, Abdullah Uwe Wagishauser, sagte, man habe deshalb den Zuschlag erhalten, weil die Lehre von Ahmadiyya "im Einklang mit den Menschenrechten und dem Grundgesetz" stehe. Trifft das zu?

Klußmann: Es gibt Kritiker, die sagen, die Ahmadiyya würden unter anderem gegen Menschenrechte verstoßen, weil sie Frau und Mann nicht als gleichwertig sehen. Aber das sind meines Erachtens Wortklaubereien. Wenn ich mir anschaue, was Frauen in Deutschland durchschnittlich verdienen, ist das auch nicht gleichwertig mit dem, was Männer in gleichen Positionen verdienen.

WDR.de: Die Ahmadiyya ist die erste islamische Gemeinde in Deutschland, die den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts bekommt. Der Verband der Islamischen Kulturzentren und der Zentralrat der Muslime beklagen nun, dass sie diese Anerkennung bereits vor mehr als zehn Jahren beantragt hätten – bisher ohne Erfolg. Was ist anders bei Ahmadiyya?

Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad

Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, derzeitiges Oberhaupt der Gemeinde

Klußmann: Warum jetzt ausgerechnet Ahmadiyya diesen Zuschlag bekommt, darüber kann ich nur spekulieren. Auffällig aber ist, dass sie sich von den üblichen islamischen Vorstellungen abheben: Sie distanzieren sich von jeder kriegerischen Haltung, lehnen den Dschihad ausdrücklich ab und nehmen damit schon fast eine ketzerische Haltung ein. Diese klare pazifistische Botschaft mag auch zur Entscheidung der Behörden beigetragen haben.

WDR.de: Ist zu erwarten, dass bald weitere islamische Gemeinden diese staatliche Anerkennung bekommen?

Klußmann: Hier ist jetzt ein Präzedenzfall geschaffen worden. Dass es nun die Ahmadiyya ist, hat vielleicht deshalb ein Geschmäckle, weil es ausgerechnet eine Gemeinde ist, der andere muslimische Verbände vorwerfen, gar keine richtigen Muslime zu sein. Aber gerade die Tatsache, hier eine Gemeinde ernannt zu haben, die als harmlos gilt, mag ein Zeichen sein, das man setzen wollte. Dass auch andere muslimische Verbände diese Anerkennung bekommen, auch in NRW, wird nicht mehr lange auf sich warten lassen, da bin ich mir sicher.

WDR.de: Als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann die Gemeinde jetzt auch Kirchensteuern erheben. Da die Zugehörigkeit zum Islam aber nicht durch eine Art Taufe definiert wird, gibt es auch kein offizielles Mitgliederverzeichnis der Muslime. Woraus besteht diese Körperschaft dann überhaupt?

Klußmann: Aus den Mitgliedern der jeweiligen Gemeinde. Wenn Ahmadiyya bisher als Verein eingetragen war, dann erhält der gesamte Verein mit sämtlichen Mitgliedern den Status Körperschaft öffentlichen Rechts.

WDR.de: Immer wieder wird kritisiert, dass muslimische Verbände in Deutschland gezwungen würden, sich zu "verkirchlichen", um von deutscher Seite anerkannt zu werden. Das widerspricht aber oft den Strukturen des Islam, der viel weniger hierarchisch aufgebaut ist als die christliche Kirchen. Wie wird sich die Anerkennung der Ahmadiyya auf diesen Konflikt auswirken?

Klußmann: Man wird sich genau anschauen, wie die sich organsiert haben und was zu der Anerkennung geführt hat. Aber die Körperschaft des öffentlichen Rechts schreibt zunächst keine dezidierte Struktur vor. Dieser Status bedeutet ja nur, dass eine Vereinigung nicht mehr ausschließlich privatrechtlich agieren kann, sondern ihren Mitgliedern und auch der Öffentlichkeit gegenüber zu Transparenz verpflichtet ist. Dadurch hat diese Vereinigung aber auch eigene Hoheitsrechte, kann eigene Entscheidungen unabhängig vom Staat fällen. Es ist weniger eine Verkirchlichung des Islams als eine Bürokratisierung der Religion zu erwarten. Wir haben nunmal einen Verwaltungsapparat, der seinen Tribut fordert.

WDR.de: Religionsfreiheit gehört in Deutschland zu den Grundrechten. Warum hat es so lange gedauert, bis eine islamische Gemeinde den gleichen Status wie die großen Kirchen, aber auch Vereinigungen wie die Zeugen Jehovas bekommt?

Klußmann: Natürlich besteht da auf staatlicher Seite erstmal eine Angst. Durch die Körperschaft des öffentlichen Rechts gewährt der Staat den Verbänden ja auch einige Privilegien und schafft gewisse Freiräume. Diese Körperschaften des öffentlichen Rechts haben ja sozusagen eine unzerstörbare Verweildauer und sind nicht bedingungslos durch den Staat kontrollierbar. Es gehört also auch Vertrauen dazu. Ich glaube aber, dass das ein wichtiger Schritt nach vorne ist und ich erwarte, dass das auch für die anderen Verbände, wie den Zentralrat der Muslime, möglich wird. Weil es Integration und Anerkennung der - schließlich gesetzlich garantierten - Religionsfreiheit, die wir haben, einen lebendigen Ausdruck gibt. Wenn wir wirklich eine Gleichbehandlung der Religionen wollen, ist das ein konsequenter und logischer Schritt, der folgen muss.

Das Interview führte Nina Magoley.