Hände halten die Zeitschriften "Wachturm" und "Erwachet"

Bezirkskongress der Zeugen Jehovas in Dortmund

Die gute Welt und die der Anderen

Stand: 24.06.2007, 13:40 Uhr

Im Dortmunder Fußballstadion versammelten sich am Wochenende (22. bis 24.06.2007) 27.000 Zeugen Jehovas. Rechts Russen, links Deutsche. Mit Handzetteln waren auch die Dortmunder eingeladen in die Welt der Zeugen Jehovas.

Von Markus Rinke

Zum gemeinsamen Abschlusslied und -gebet unterbrechen Thomas Malessa und Markus Hettwer das Gespräch mit WDR.de über den Bezirkskongress. Rund 27.000 Menschen, 11.000 auf der Westtribüne und 16.000 auf der Osttribüne singen ein Kirchenlied. Auf der Westtribüne erklingt es auf russisch, gegenüber auf deutsch. Ein Gebet beendet den Tag im Dortmunder Fußballstadion.

Anschließend erklären die beiden Zeugen Jehovas wieder ihren Glauben und die Organisation des Bezirkskongresses. Mehrmals im Jahr treffen sich die Zeugen Jehovas zu gemeinsamen Gebeten und Bibelstudium. In Dortmund sind es drei Tage. Die Deutschen sind aus dem Bezirk, der einen Teil von NRW umfasst. Diejenigen, die die Veranstaltung auf russisch hören, kommen aus ganz Deutschland, sind aber nicht zwingend russischstämmig. Beide Gruppen hören aber fast ununterbrochen die Stimme eines Verkünders. Insgesamt werden 30 Vorträge gehalten.

Die Verkündung des Evangeliums als Lebensaufgabe

"Die Verkündigung ist eigentlich die Aufgabe eines jeden guten Christs", erklärt Markus Hettwer und hat ein Beispiel: "Als die Titanic untergegangen ist und jemand die Gefahr gesehen hat, dem konnte das auch nicht egal sein." Die Zeugen Jehovas glauben an das Harmagedon, den Tag, an dem Gott eingreifen wird: "Er wird zum Beispiel nicht akzeptieren, dass gemordet wird."

Genau da setzt aber auch Sabine Riedes Kritik vom Sekteninfo NRW an. Der Verein wird maßgeblich vom Land NRW und den Städten Essen und Bochum unterstützt. Nach Riedes Einschätzung sind die Zeugen Jehovas keine Gefahr für die Gesellschaft, sehr wohl würde aber psychischer Druck auf den Einzelnen ausgeübt: "Mit Harmagedon ist Endzeitstimmung verbunden. Es wird propagiert, dass das schon bald sein wird. Es gab Andeutungen um die Jahrtausendwende, jetzt um das Jahr 2038. Man muss die Leute einfach bei der Stange halten."

Kontrolle, Zwang und keine Freizeit?

Noch gravierender ist aber nach Einschätzung von Sabine Riede die Kontrolle, welche die Gemeinde ausübe: "Es ist keine individuelle Freizeitgestaltung möglich. Es gibt mehrere Treffen und Vorträge in der Woche, und dann kommt der Missionsdienst dazu." Ein erwachsener Mann investiere so rund 20 Stunden pro Woche in den Glauben. In der Öffentlichkeit sind die Zeugen Jehovas dafür bekannt, dass sie die Zeitschrift "Wachturm" in den Innenstädten anbieten, aber auch von Haus zu Haus ziehen, um zu missionieren. Sie sind in Gemeinden organisiert, die aus rund 100 Mitgliedern bestehen. Dadurch könne, so die Einschätzung der Sektenexpertin, ein großer Druck ausgeübt werden. Vor allem auch auf die, die sich von den Zeugen Jehovas abgrenzen wollen. Sabine Riede betreut regelmäßig Menschen, die die Glaubensgemeinschaft verlassen: "Das Schlimme ist die Gnadenlosigkeit. Sie werden geächtet, und da jeder jeden kennt, wird sich das sofort rumsprechen."

Geborgenheit, Bibelstudium und Fürsorge?

Doch das sei nur eine Frage der Sichtweise, erklären Thomas Malessa und Markus Hettwer: "Sie können in jedem Sportverein Teamgeist oder Zwang unterstellen, wenn man nicht beim Training erscheint und der Trainer anruft. Jeder weiß doch, worauf er sich einlässt." Und das Studium der Bibel sei die entscheidende und notwendige Grundlage und begründen das - wie so viele andere Dinge während des Gesprächs - mit einem Zitat aus der Bibel. Natürlich werde nachgefragt, wenn jemand häufiger nicht zum Bibelstudium erscheine, schon aus Fürsorglichkeit und Verantwortungsbewusstsein. Und Markus Hettwer ergänzt, dass die Nachfrage der eine als Druck, der andere aber als Hinweis aufnehmen könne. Zwang gebe es nicht. Und Thomas Malessa erzählt, dass es auch Familien gibt, deren Kinder am Samstag dem Kongress fernblieben: "Die wollten heute nicht aufstehen. Natürlich sind die Eltern darüber nicht happy." Doch das ist die Ausnahme. Schließlich kann nur der ein Zeuge Jehovas sein, der die Bibel intensiv studiert.