Interview zum Christo-Projekt
"Die größte Skulptur, die je geschaffen wurde"
Stand: 14.06.2012, 21:08 Uhr
"Tonne in der Tonne": Eine korrekte, aber etwas profane Beschreibung für das jüngste Projekt des Künstlers Christo. Ein riesiges Paket voller Luft und Licht will er im Gasometer in Oberhausen schnüren. Wolfgang Volz, Weggefährte und Fotograf, erklärt die Magie des "Big Air Package".
Auf den Inhalt kommt es an
Er hat Inseln umhüllt und Zäune durch Landschaften gezogen, den Reichstag eingepackt und orangefarbene Tore in New York aufgestellt. Jetzt hat Christo ein neues Projekt in Angriff genommen: Der Gasometer wird in ein Luftpaket verwandelt. Das Werk soll vom 15. März bis zum 30. Dezember nächsten Jahres zu sehen sein. Schon einmal, 1999, war Christo mit seiner Frau Jeanne-Claude im Gasometer, hat dort Tausende von bunten Ölfässern aufgestapelt. Und auch damals war Wolfgang Volz dabei, eigentlich der Christo-Fotograf schlechthin, inzwischen aber auch technischer Leiter der Projekte, Kurator verschiedener Ausstellungen, Organisator - oder, wie er sagt: "Mädchen für alles". Und deswegen hat er auch am Donnerstag (14.06.2012) das Projekt vorgestellt - Christo war in New York schon wieder mit einem neuen Projekt beschäftigt.
WDR.de: Herr Volz, Christo kommt nach Oberhausen - das hat etwas von einem Deja vu. Er war ja schon mal im Gasometer, mit den bunten Ölfässern. Warum kommt er wieder?
Wolfgang Volz hat alles Details im Kopf
Wolfgang Volz: Diesmal wird ein vollkommen anderes Projekt gemacht als vor zwölf Jahren mit The Wall. Christo hat seit der Documenta in Kassel 1968 kein Air Package mehr gemacht, und das greift er wieder auf. Es hat ihn einfach gelockt, diesen Raum mit den ungewöhnlichen Proportionen, den er schon kannte, umzuwandeln.
WDR.de: Aber er verhüllt ihn nicht.
Volz: Nein, das hat ihn nicht interessiert. Christo und Jeanne-Claude haben schon nach der Verhüllung des Reichtags in Berlin gesagt, dass keine Gebäude mehr verhüllt werden. Diese Schaffensphase ist vorbei.
WDR.de: Was passiert also dann mit dem Gasometer?
Volz: Wir werden das Innere des Gasometers, das mit 117 Metern Höhe einer der größten Gasometer überhaupt ist, in ein Luftpaket verwandeln, also in ein Big Air Package. Das wird 90 Meter hoch und hat ein Durchmesser von 50 Metern, dort würden 400 Einfamilienhäuser hinein passen.
WDR.de: Und sehr viel Luft.
Volz: Insgesamt sind das 177.000 Kubikmeter. Das wird nicht nur das größte aufgeblasene Gebilde sein, sondern eindeutig die größte Skulptur, die jemals auf Erden geschaffen wurde. Vielleicht wird sie mal von der Mastaba in Abu Dhabi übertroffen, aber die ist noch nicht fertig.
WDR.de: Wie bauen Sie diese Skulptur auf?
Volz: Eigentlich wollten wir die Hülle, das sind zehn Einzelteile, drinnen am Boden zusammenbauen und dann aufblasen. Aber gestern haben wir mit dem Ballonbauer gesprochen, jetzt machen wir das so, dass wir mit dem Deckel anfangen und den hochziehen, dann bauen wir den ersten Zylinderring ein und ziehen den hoch. Wenn alles luftdicht ist, müssen wir mit dem Gebläse noch den Überdruck schaffen. Das machen wir mit ganz normaler Luft, Helium könnten wir uns nicht leisten, das brauchen wir aber auch nicht.
WDR.de: Wie lange dauert das?
Volz: Vier oder fünf Tage dauert das schon.
WDR.de: Aber wenn das ein riesiger Ballon ist: Was passiert, wenn der platzt?
Volz: Gar nichts, das Entweichen dauert genau so lange Die Hülle ist sicherheitshalber auch am Gasometer eingehängt.
WDR.de: Wenn sie dann fertig ist: Wie sieht die Skulptur aus?
Volz: Das ist ein großes Gebilde aus Gewebe, das mit Luft gefüllt und mit insgesamt 4,5 Kilometern verknoteten Seilen in ein Paket verwandelt wird. Dieses Paket wird begehbar sein, die Besucher können außen herum laufen, aber durch Schleusen eintreten. Das ist etwas vollkommen Neues in Christos Werk.
WDR.de: Für die Besucher wird das auch eine neue Erfahrung sein. Bisher konnte man die Werke ansehen, jetzt ist man mittendrin.
"Ein Wahnsinnsblick"
Volz: Ja, sie haben plötzlich die Situation, dass sie in einem ganz künstlichen Raum mit großen Ausmaßen sind. Wenn man draußen in der Landschaft unterwegs ist, da sieht man einen Schornstein oder eine Kirche als optischen Bezugspunkt. Den hat man hier nicht. Und die Seile liegen eng am Gewebe an, und wenn man nach oben schaut, wirkt es wie ein Netz. Wenn das Gewebe dann noch atmet - das wird ein fantastisches Erlebnis.
WDR.de: Vorab war auch zu lesen, dass das Werk eine "akustische Sensation" wird. Optisch - ja, aber akustisch?
Volz: Das wird eine ganz eigene Akustik haben, verhalten, meditativ, da kann man nicht auf frühere Erfahrungen zurückgreifen. Da muss man sich erst einfühlen, um die Vielschichtigkeit Stück für Stück zu erleben.
WDR.de: Welches Bild wird Ihnen wohl einfallen, wenn Sie später mal an Big Air Package denken? Nicht ein Foto - ein Bild im Kopf.
Volz: Das wird der Blick ins Innere sein. Ich habe das schon ein bisschen erlebt, wir hatten ein drei Meter hohes Modell, und da bin ich mit dem Kopf rein, um ein Foto zu machen. Das war ein bläuliches Licht - ein Wahnsinnsblick.
Das Interview führte Marion Kretz-Mangold.