Auf seiner China-Reise 2003 macht Bundespräsident Johannes Rau einen Abstecher nach Nanjing. Mit einem Besuch der John-Rabe-Gedenkstätte in Chinas früherer Hauptstadt würdigt Rau einen in seiner Heimat vergessenen Landsmann, den die Chinesen als "guten Deutschen von Nanjing" verehren. John Rabes Mut und Initiative während der japanischen Invasion 1937/38 verdanken rund 200.000 Chinesen ihr Überleben.
Mit 29 Jahren wird der 1882 geborene Hamburger Kaufmann in China Vertreter des Siemens-Konzerns. Rabe verkauft Turbinen, Telefonanlagen und Röntgengeräte so erfolgreich, dass er 1931 zum Geschäftsführer in Nanjing aufsteigt. Von der Machtübernahme der Nazis daheim bekommt Rabe im fernen Asien kaum etwas mit. Politisch naiv und alles andere als ein Rassist, schätzt er Hitler als Mann aus dem Volk für das Volk. 1934 tritt Rabe in die NSDAP ein, hauptsächlich, weil er Geld für die von ihm gegründete deutsche Schule braucht.
Rettung unter dem Hakenkreuz
Im Sommer 1937 bricht der japanisch-chinesische Krieg aus. Die Truppen des Tenno dringen immer tiefer nach China ein, erobern nach verlustreichen Kämpfen Shanghai und marschieren dann auf die Hauptstadt zu. Chinas Regierung, mit ihr die Reichen und fast alle Ausländer, setzen sich ab. Nur ein Dutzend Amerikaner, Briten und Deutsche bleibt in Nanjing, um der Bevölkerung beizustehen, darunter der hoch geachtete Siemens-Manager Rabe. Als am 12. Dezember die ersten von mehr als 1.200 japanischen Bomben auf Nanjing fallen, flehen Hunderte Menschen panisch um Einlass in das Siemens-Werk. John Rabe lässt die Tore sofort öffnen.
An den mit Japan verbündeten Hitler kabelt Rabe nach Berlin: "Unterzeichneter Amtswalter der Ortsgruppe Nanjing bittet seinen Führer um günstige Fürsprache bei japanischer Regierung." Auf Antwort wartet Rabe gar nicht erst, er handelt. Als Leiter der kleinen internationalen Gruppe, aber ohne jede offizielle Kompetenz, richtet er hinter seinem Wohnhaus eine zwei mal zwei Kilometer große Schutzzone für Zivilisten ein. Massenweise lässt er Lebensmittel heranschaffen und über dem Boden eine riesige Hakenkreuz-Fahne aufspannen. Die Finte gelingt: Die japanischen Bomberpiloten achten die Fahne der Nazi-Verbündeten und verschonen die Schutzzone.
Japans Soldateska im Blutrausch
Selbst der japanische Kommandant respektiert das Areal, das Rabe nur mit energischem Auftreten und einer Art unbewaffneter Hilfspolizei verteidigt. Acht Wochen lang nehmen die japanischen Truppen grausam Rache für den Blutzoll, den sie bei der Einnahme Shanghais zahlen mussten. Rund 300.000 Menschen fallen dem Massaker zum Opfer, zehntausende Frauen jeden Alters werden vergewaltigt. Tag und Nacht rast John Rabe mit seinen Helfern durch Nanjing, um so viele Bewohner wie möglich in Sicherheit zu bringen. Etwa 200.000 bis 250.000 Menschen entgehen so in der Schutzzone dem sicheren Tod. Selbst in Rabes kleinem Haus und dem Garten kommen 500 Flüchtlinge unter.
Im Februar 1938 muss John Rabe China auf Anweisung von Siemens verlassen. Zum Abschied schenken ihm seine dankbaren Arbeiter ein Seidentuch mit der Inschrift "Du hast das Herz eines lebenden Buddhas und bist seines tapferen Geistes." Mit seiner Frau Dora zurück in Berlin versucht John Rabe, mit heimlich gedrehten Filmen auf die japanischen Gräueltaten aufmerksam zu machen. Doch die Gestapo bringt ihn schnell zum Schweigen. Ausgebombt und Hunger leidend überstehen die Rabes das Kriegsende. Nur Nahrungspakete aus China lindern ihre Not ein wenig. Am 5. Januar 1950 stirbt John Rabe, der "Oskar Schindler Chinas", 67-jährig nach einem Schlaganfall.
Stand: 05.01.2015
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