Ines Geipel vor dem Mikrofon

Stichtag

5. Mai 2006 - Ines Geipel erzwingt Streichung aus Rekord-Liste

Erfurt, Juni 1984: Im Steigerwaldstadion ist es warm und windig. Die Staffel des SC Motor Jena macht sich bereit zum Lauf über vier Mal hundert Meter. "Ich glaube, wir hatten Lust, diese Staffel zu laufen", wird sich Startläuferin Ines Geipel, damals Schmidt, später erinnern. Auch die ziemlich spektakuläre Übergabe des Staffelstabs an Bärbel Wöckel hat sie nicht vergessen: "Sie war unglaublich schnell weg. Ich hatte höchste Mühe. Ich habe beim Laufen gedacht: Das schaff' ich nie." Geipel schafft es, ebenso wie alle anderen. Als die letzte Läuferin das Ziel erreicht, stehen 42,20 Sekunden auf der Uhr: deutscher Rekord, Weltrekord für Vereinsstaffeln. Bis heute hat die Bestmarke Bestand.

Entschädigung ist nicht genug

Nur einen Schönheitsfehler hat der Weltrekord: Alle vier Sprinterinnen sind gedopt. Wie in der DDR üblich, sind ihnen generalstabsmäßig ohne ihr Wissen über Jahre hinweg anabole Steroide verabreicht worden, um ein schnelleres Muskelwachstum zu erreichen. Viele Sportler des Arbeiter- und Bauernstaats bekommen dadurch letztlich Krebs, Leukämie oder irreparable Stoffwechselstörungen. Ines Geipel erkrankt an einer schweren Bulimie. Als sie sich kritisch zum DDR-Sport äußert, wird die Sprinterin kaltgestellt. 1989 flieht sie in die Bundesrepublik.

Dann fällt die Mauer; mit ihr stürzen auch die Sport-Funktionäre. Im Jahr 2000 wird Manfred Ewald und Manfred Höppner als Chef-Dopern der DDR der Prozess gemacht. Die Opfer erhalten Entschädigung. Das ist Geipel nicht genug. Sie will eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der DDR-Sportgeschichte. 2005 beantragt sie deshalb beim Deutschen Leichtathletikverband (DLV), ihren Staffelrekord aus den offiziellen Listen zu streichen, um ein Zeichen zu setzen.

Ein Sternchen werden

Der DLV richtet eine Kommission ein und bestellt Gutachter, die den Fall untersuchen sollen. Die kommen zu dem Schluss, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Aberkennung der Rekorde nicht bestehen. Geipel Indes lässt nicht locker und droht mit juristischen Schritten. Am 5. Mai 2006 beschließt der DLV-Verbandsrat, Geipels Namen in den Listen durch ein Sternchen zu ersetzen. "Ich bin jetzt ein Sternchen", kommentiert Geipel, die heute als Schriftstellerin arbeitet, die Entscheidung. "Und wer will in dieser Welt nicht ein Sternchen sein."

Stand: 05.05.2011

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