Stichtag

08. Mai 2010 - Vor 25 Jahren: Richard von Weizsäcker hält Rede zum Kriegsende

"Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern", sagt Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Bundestag, auf den Tag genau 40 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation von Nazi-Deutschland. Zugleich warnt der Christdemokrat: "Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart." Die Deutschen müssten der Wahrheit ins Auge sehen - "ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit". Der Völkermord an den Juden sei beispiellos in der Geschichte. Und Flucht und Vertreibung vieler Deutscher hätten ihre Ursache nicht etwa im Ende des Zweiten Weltkrieges. Ausgangspunkte dafür seien vielmehr der 30. Januar 1933, als Adolf Hitler an die Macht kam, und der 1. September 1939, als die deutsche Wehrmacht Polen überfiel. "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung", sagt Weizsäcker in seiner Rede. "Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft."

Zustimmung und Anerkennung

In den Tagen nach der Rede erreichen das Bundespräsidialamt rund 38.000 Telegramme und Telefonanrufe, die Zustimmung und Anerkennung bekunden. Rund 1,5 Millionen Bürger fordern einen Nachdruck der Rede an. Auch bei den deutschen Vertretungen im Ausland melden sich viele Interessenten, erinnert sich der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). Es habe insgesamt nur zwei Ereignisse gegeben, die in der deutschen Nachkriegspolitik eine derart enorme und die Lage zum Besseren verändernde Wirkung gehabt hätten: "Das eine war der Kniefall von Willy Brandt in Warschau und das Andere war die Rede von Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985."

Konservatives Tabu gebrochen

Dabei enthält Weizsäckers Rede "nicht eigentlich neue Einsichten", wie er selbst später einräumt. Andere haben damals schon Ähnliches gesagt. Es ist weniger der Inhalt als vielmehr die Person, die der Rede ihren Stellenwert gibt: Erstmals hat ein westdeutsches Staatsoberhaupt offen und vorbehaltlos über den Ursprung des Zweiten Weltkrieges gesprochen. Damit habe Weizsäcker - als ehemaliger Ostfront-Offizier und CDU-Vertreter - ein Tabu der deutschen konservativen Elite gebrochen, sagt Journalist Gunter Hofmann. "'Deutschland musste befreit werden' - das war ein Wort, was nicht alle über die Lippen brachten." Hofmann, der eine politische Biografie über Weizsäcker geschrieben hat, sieht deshalb "Vermächtnisse, die in der Rede stecken, aber weit über die Rede hinaus weisen und heute politisch umzusetzen sind." So formuliert Weizsäcker 1985 in seiner Rede: "Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist." Deshalb dürften sich die Deutschen nicht einbilden, sie seien nun als Menschen anders und besser geworden. "Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden."

Stand: 08.05.10