"Es wird in einem schrecklichen Blutbad enden am Neuen Markt", warnt Börsen-Experte André Kostolany. Doch die Börsen-Euphorie lässt sich nicht bremsen. Kritiker gelten als Miesmacher und werden nicht gehört. "Das war Halli-Galli hoch zehn", erinnert sich Tobias Belger, Händler auf dem Frankfurter Börsenparkett.Dabei hatte der Ausnahmezustand ganz klein angefangen: Mit zwei Firmen - dem Autozulieferer Bertrandt und dem Telefondienstleister Mobilcom - startet die Frankfurter Börse am 10. März 1997 den so genannten Neuen Markt. Er wendet sich nach Darstellung der Deutschen Börse an kleine und mittlere Unternehmen, die bisher noch keine Chance hatten, an die Börse gebracht zu werden. "Der Neue Markt verfolgt das Ziel, Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt zu verschaffen. Das heißt, die Eigenkapitalfinanzierung über den Aktienmarkt zu ermöglichen." Die Börsenkandidaten für den Neuen Markt stammen vorwiegend aus den Branchen Multimedia, Telekommunikation, Biotechnologie und Umwelttechnik.
Das einsetzende Börsenfieber hat seinen Ursprung in den USA, wo Firmen mit völlig neuen Geschäftsideen vor sich reden machen: Der Buchhändler Amazon, die Suchmaschinen Yahoo und Google, die Vermarktungsplattform Ebay. "Dann sind die ganzen Garagenfirmen an die Börse gekommen", erinnert sich ARD -Börsenreporter Stefan Wolff. "Dass in der Zeit große Verluste in den Bilanzen geschrieben wurden, hat damals niemanden interessiert."An der herkömmlichen Börse der Dax-Standardwerte hätten solche Firmen keine Chance auf Akzeptanz gehabt. Beinahe täglich gibt es neue Börsengänge: "Da haben auch Banken Unternehmen an die Börse gebracht, die da nichts zu suchen hatten", sagt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz rückblickend. "Da haben Anleger Aktien von Firmen gekauft, die meilenweit von der Börsenfähigkeit entfernt waren." Etliche Privatanleger seien "ein Stück weit auch abgezockt" worden.
Im März 2000, drei Jahre nach dem Start, gibt es mehr als 300 Aktien am Neuen Markt. Der eigens geschaffene Index Newmax hat den Dax weit hinter sich gelassen und die Marke von 10.000 Punkten erreicht. Doch von da an geht es bergab: Betrügereien werden aufgedeckt, Ideen erweisen sich als Bluff, Firmen gehen Pleite - das Geld der Anleger wird regelrecht verbrannt. Der Gier folgt das Gejammer: Millionen von Anlegern, die Aktien zu Höchstkursen gekauft haben, bezahlen ihren Ausflug in die Börsenwelt mit schmerzlichen Verlusten. Die Börse sei dafür nicht verantwortlich zu machen, sagt deren Sprecher Walter Allwicher. Nirgendwo habe es strengere Transparenzpflichten als am Neuen Markt gegeben. Doch er räumt ein: "Was sicherlich geholfen hätte, wäre, stärker auf das Chancen-Risiko-Profil dieses Marktes hinzuweisen." Im Juni 2003 wird der Neue Markt abgeschafft.
Stand: 10.03.07