Fritz Pleitgen

Rückblick aus dem Jahr 2005: Interview mit Fritz Pleitgen

"Rundfunk in seiner reinsten Form"

Stand: 14.06.2005, 16:05 Uhr

1995 ging der WDR ins Netz - zehn Jahre später blickt Intendant Fritz Pleitgen auf den, wie er sagt, "stillen Start" zurück und verrät, was er auf den Seiten der Zeitung "New York Times" sucht.

WDR.de: Kein roter Knopf, kein Startschuss oder durchschnittenes Band - wie erinnern Sie sich an den Start des WDR im Netz?

Fritz Pleitgen: Es war tatsächlich ein stiller Start im WDR, den auch ich damals nur am Rande wahrgenommen hatte. Wie häufig bei medialen Innovationen gab es auch beim Internet eine kleine Schar von technisch interessierten Kolleginnen und Kollegen, die die Möglichkeiten des Mediums für sich entdeckten.

WDR.de: Datenautobahn, demokratischstes Medium der Welt, eine Revolution wie der Buchdruck - es gab und gibt hohe Erwartungen an das Internet. Was waren Ihre?

Pleitgen: Über die Möglichkeiten des jungen Mediums hatte ich mich vor der Gründung unserer Internetredaktion intensiv im Ausland informiert. Als der WDR im Netz noch in den Kinderschuhen steckte, waren eigenständige Internetredaktionen bei den amerikanischen Rundfunkanstalten oder bei der BBC bereits etabliert. Auch die Angebote der New York Times im Netz hatten mich beeindruckt. So war mir schnell klar, dass das Internet ein zeitgemäßes Instrument der Massenkommunikation ist - sozusagen Rundfunk in seiner reinsten Form.

WDR.de: Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Pleitgen: Das WDR-Internetangebot ist heute fester Bestandteil unseres Programms. Gerade für jüngere Zielgruppen wäre ein Rundfunkangebot ohne Internet gar nicht mehr vorstellbar. Aber auch für die älteren Semester ist das Internet inzwischen fester Bestandteil im Medienmix. Man kann das World Wide Web also durchaus als eine Medien-Revolution bezeichnen. Es erschließt das Universum des Wissens und steht zugleich jedem als Publikationsfläche zur Verfügung. Denken Sie nur an die unzähligen Weblogs. Nach und nach zeichnet sich die ganze gesellschaftliche Dimension dieses Mediums ab. Wir sind also gefordert, unseren Programmauftrag hier zu erfüllen. Denn je mehr Seiten es im Netz gibt - desto wichtiger werden die "trusted guides" - also die Qualitätsangebote, auf die sich der Nutzer verlassen kann. Hier würde ich unsere Angebote durchaus als Messlatte für die publizistische Qualität bezeichnen.

WDR.de: Den Telefonhörer auf den Akustikkoppler gepresst: Die ersten Jahre waren für Spezialisten. 1995, als der WDR online ging, hat "Quarks & Co." noch die "Datenautobahn einfach erklärt". Inzwischen sind über 55 Prozent der Deutschen im Netz. Wie hat die Entwicklung zum Massenmedium das Internet verändert?

Pleitgen: Die stärkste Veränderung ist sicher das enorme Wachstum: Es gibt ja heute kaum ein Thema, zu dem das Netz nicht Informationen bietet - oft mehr als man gebrauchen kann. In diesem Dickicht kommt den Öffentlich-Rechtlichen wie gesagt eine wichtige Lotsenfunktion zu. Trotz dieser Fülle gibt es aber auch heute noch wichtige gesellschaftliche Themen, die im Internet ein Nischendasein fristen. Ich denke etwa an Integration und kulturelle Vielfalt. Auch hier sind die Öffentlich-Rechtlichen gefordert.

Rasante Veränderungen gab es auch auf technischer Ebene. Schnelle Breitbandverbindungen haben sich vielfach durchgesetzt; sie erlauben heute die multimediale Vermittlung der Inhalte. Fernsehen, Radio und Internet entwickeln sich konvergent. Das eröffnet unserem Internet-Programm viele neue Möglichkeiten und stärkt seine Funktion als Schnittstelle im Medienverbund.

WDR.de: Das Online-Angebot scheint schier unendlich - Welchen Beitrag können die öffentlich-rechtlichen Sender da überhaupt noch leisten?

Pleitgen: In den Anfangstagen des Internets war die Ebbe, heute ist die Flut an Informationen das Problem. Der Nutzer droht unterzugehen. Er kann weder alle Angebote überblicken noch ihre Qualität einschätzen. Öffentlich-rechtliche Anbieter sind unabhängig und haben keine kommerziellen Absichten oder Verpflichtungen. Sie helfen den Nutzern, das neue Medium souverän und effektiv zu nutzen. Zudem haben Medienexperten längst eine Gefahr für die umfassende Meinungsbildung festgestellt: Wenn wir das Internet alleine dem Markt überlassen, wird sich in diesem Massenmedium nicht die verfassungsrechtlich geforderte freie öffentliche Kommunikation entwickeln. Kommerzielle Anbieter allein können keine ausreichende publizistische Vielfalt sicherstellen. Dazu bedarf es der Öffentlich-Rechtlichen im Netz.

WDR.de: Springen wir in das Jahr 2015 - wie könnte dann das Internet-Angebot des WDR aussehen?

Pleitgen: Keiner konnte vor zehn Jahren die Dynamik des Mediums abschätzen. Und ich nehme an, dass sich das Internet mit diesem Tempo weiterentwickeln wird. Hierbei werden die breitbandigen Zugänge eine wichtige Rolle spielen. Mit anderen Worten: Unser Webauftritt wird auch künftig ein unverzichtbares Element im Medienverbund sein. Und er wird einen wichtigen Beitrag leisten, unser Programm auch der jungen Generation zu vermitteln. Mit Blick auf die Technik gehe ich auch davon aus, dass sich der Trend zu mehr Mobilität weiter verstärken wird: rund um die Uhr und weltweit Informationen über Handy oder PDA zu empfangen, wird für viele Nutzer in zehn Jahren völlig selbstverständlich sein, vermutlich noch viel eher. Ich glaube auch, dass auf einer MHP-Basis oder deren Weiterentwicklung eine noch stärkere Annäherung von Web-Content und Fernseh-Inhalten auf einer gemeinsamen technischen Plattform stattfinden wird - wahlweise fürs Wohnzimmer oder für den Job nutzbar.

WDR.de: Nach der letzten ARD/ZDF-Online Studie (2004) suchen die meisten Nutzer gezielt einige wenige Lieblingsadressen auf. Wo surft Fritz Pleitgen am liebsten? Warum?

Pleitgen: Leider bleibt mir oft wenig Zeit, um durch das Netz zu surfen. Meine Startseite ist selbstverständlich wdr.de. Von da aus schwärme ich ab und an aus - vor allem auf News-Seiten. Ganz oben bei meinen Bookmarks steht die "New York Times". Dort halte ich mich auch über die NFL auf dem Laufenden - mein Herz gehört den Redskins aus Washington.

Die Fragen stellte Kai Clement.

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