Spekulationen um Acta-Nachfolger
ACTA im Schafspelz?
Stand: 27.07.2012, 06:00 Uhr
Das Europaparlament hat das umstrittene Handelsabkommen ACTA Anfang Juli abgelehnt. CETA oder IPRED - längst gibt es Gerüchte um mögliche Nachfolge-Regelungen, die ACTA sehr ähnlich sein sollen. Urheberrechtsexperte und Netzpolitik-Blogger Leonhard Dobusch erklärt, worum es dabei geht.
Leonhard Dobusch hat die Anti-ACTA-Proteste und das Scheitern des umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommens intensiv beobachtet. Am Institut für Management der Freien Universität Berlin forscht er als Postdoc unter anderem über private Urheberrechtsregulierung. Dobusch bloggt regelmäßig bei Netzpolitik.org.
WDR.de: Am 4. Juli hat das Europäische Parlament ACTA mit großer Mehrheit abgelehnt. Wie hat sich der Streit um das Handelsabkommen auf die Diskussion um das Urheberrecht ausgewirkt?
Leonhard Dobusch: ACTA ist zu einem Codewort geworden. Wer sagt "Das ist ja schlimmer als ACTA", bekommt automatisch Aufmerksamkeit. Vom Scheitern von ACTA ist geblieben, dass ein Randthema wie das Urheberrecht zu einem Kernthema der politischen Auseinandersetzung in Europa geworden ist. Denn ACTA steht am Ende von zwei Jahrzehnten von Urheberrechtsausdehnungen bei Schutzfristen und Schutzumfang, Verschärfungen, neuen Verboten und Strafbestimmungen. Einige Rechteinhaber haben ihre Interessen vorbei an der Öffentlichkeit durchsetzen können. Das Ergebnis macht es schon heute unmöglich, das Internet medienkundig zu verwenden, ohne dabei das Urheberrecht zu verletzen. Nun haben aus Perspektive der Netzaktivisten endlich Leute "Stop! Bis hierhin und nicht weiter" gesagt.
WDR.de: Netzaktivisten und Blogger warnen aber bereits vor Nachfolge-Abkommen, die Ideen aus ACTA aufgreifen.
Dobusch: ACTA hat das herrschende Urheberrechtsregime in Europa widergespiegelt. Auch wenn es internationale Vereinbarungen wie das TRIPS-Abkommen gibt, ist Europa in Urheberrechtsfragen viel restriktiver als viele andere Bereiche der Welt. In Europa ist außer den im Gesetz konkret genannten Ausnahmen, den Schranken des Urheberrechts, erst einmal alles verboten.
WDR.de: Nach ACTA könnte nun CETA kommen, heißt es. Was steckt dahinter?
Leonhard Dobusch
Dobusch: CETA ist ein europäisch-kanadisches Handelsabkommen, das seit 2009 verhandelt wird. Nur ein Kapitel des Abkommens beschäftigt sich mit geistigen Eigentumsrechten. Darin geht es um Strafbestimmungen und Fragen der Rechtsdurchsetzung, die auch Endnutzer betreffen können. Thema ist zum Beispiel die Überwachung der Internetnutzung und Herausgabe von Nutzerdaten im Fall von Urheberrechtsverletzungen. Kanada hat zwar ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so restriktives Urheberrecht wie die Europäer. Daher fürchtet man dort, dass Europa sein restriktives Urheberrecht mithilfe von CETA nach Kanada exportiert. In Europa ist gibt es bei Kritikern dagegen die Sorge, dass mit jedem weiteren Abkommen das nicht mehr zeitgemäße Urheberrecht zementiert wird und die notwendigen Reformen noch schwieriger werden, als sie es ohnehin schon sind.
WDR.de: Wie ist der Stand bei CETA?
Dobusch: Die EU-Kommission verhandelt noch, und zwar wie bei ACTA wieder im Geheimen. Von ihr gibt es offiziell nur einen kurzen Tweet des Sprechers von Handelskommissar Karel De Gucht, der auch für ACTA maßgeblich verantwortlich war. Er versuchte zu beruhigen, sinngemäß: "Regt euch nicht auf, wir ändern alles." Im Februar waren Textteile aus CETA geleakt worden, die ACTA stark ähnelten, wie der kanadische Rechtswissenschafltler Michael Geist gezeigt hat. Ich glaube aber schon, dass CETA irgendwann mal beschlossen werden könnte. Je weiter sich die EU-Kommission allerdings von den Entwürfen wegbewegt, desto schwieriger wird es, sich mit Kanada zu einigen.
WDR.de: In der EU wird außerdem an einer Neuauflage der Richtlinie zur Durchsetzung des Geistigen Eigentums gearbeitet: IPRED wird neben CETA ebenfalls mit "ACTA-Nachfolge" in Zusammenhang gebracht.
Dobusch: Die Überarbeitung von IPRED war schon für dieses Jahr geplant. Der Wirbel um ACTA hat dazu geführt, dass man sich bis 2013 Zeit geben will. IPRED ist enger gefasst als etwa CETA. IPRED verpflichtet EU-Mitgliedsstaaten, Regelungen und Verfahren einzuführen, die den Schutz des geistigen Eigentums sichern. CETA ist dagegen ein weites Handelsabkommen, in dem es auch um materielle Güter jenseits von geistigem Eigentum geht. Eine Evaluierung und Weiterentwicklung von IPRED war von Anfang an vorgesehen. Das steht nun an. Vorab soll es einen Bericht geben, in dem beurteilt wird, ob bestehende Regelungen ausreichend waren, oder ob die Rechtsdurchsetzung im Internet weiter verschärft werden, und es Ergänzungen in Richtung Three-Strikes-Verfahren oder eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung geben soll. Der Bericht liegt aber noch nicht vor.
WDR.de: Was schlagen Sie vor, um das Urheberrecht zeitgemäß zu gestalten?
Dobusch: Ich bin ein Fan eines Urheberrechts, das als Investitionsschutz seinen Zweck erfüllt. Gleichzeitig sollte das Urheberrecht im normalen Internetalltag keine große Rolle spielen. Deshalb ist es an der Zeit, seinen Schrankenkatalog aufzuweichen, damit zum Beispiel nicht schon beim Teilen von Handy-Videos auf Blogs regelmäßig Urheberrechte verletzt werden. Mein Vorschlag wäre, ein Moratorium über die Verhandlungen von internationalen Abkommen über geistiges Eigentum zu verhängen. Also nicht weiter Klauseln verhandeln und stattdessen die europäische Reformdebatte zu führen.
Heute habe ich eine Festplatte mit einem Terabyte (eine Billion Bytes, Anm. d. Red.) Speicher. In ein paar Jahren gibt es 100-Terabyte-Festplatten, Schulkinder könnten dann die gesamte Musik der Menschheitsgeschichte auf dem Schulhof tauschen. Will man dann patrouillieren? Wohl eher nicht. Ich rechne für die Zukunft deshalb einerseits mit einem Mehr an privater Rechtsdurchsetzung, zum Beispiel durch Filterung von Suchresultaten, und andererseits neuen Formen der Pauschalvergütung, auch wenn es nicht die Kulturflatrate ist. Privatkopien müssen irgendwann legalisiert werden. Bis es soweit ist, werden wir aber noch lange streiten.
Das Interview führte Insa Moog.