Erik Uwe Amaya (Haus & Grund),  Streetworker Oliver Ongaro

Streitgespräch zur Wohnungsnot

Letzte Ausfahrt Stadtrand

Stand: 12.07.2013, 06:00 Uhr

In Großstädten wie Köln oder Münster sind bezahlbare Wohnungen Mangelware. Wer ist verantwortlich? Ein Streetworker aus Düsseldorf und der Direktor von Haus & Grund Rheinland streiten im WDR.de-Gespräch über Luxusghettos, Mietnomaden, beliebte und weniger beliebte Städte.

WDR.de: Herr Amaya, Herr Ongaro, könnten Sie sich vorstellen, in einem Düsseldorfer Luxusghetto zu wohnen?

Erik Uwe Amaya: Ich möchte wohnen, wo es mir gefällt. Da ist mir die Infrastruktur wichtig und das Wohnumfeld. Da ich Kölner bin, würde ich aber gar nicht auf die Idee kommen, nach Düsseldorf zu ziehen.

WDR.de: In Köln gibt es keine Luxusghettos?

Amaya: Man muss mit diesem Begriff sehr aufpassen. Den Begriff Luxusghettos hat ja der nordrhein-westfälische SPD-Bauminister Michael Groschek geprägt. Das ist im Grunde nichts weiter als PR-Rhetorik.

Oliver Ongaro: Ich möchte gern da wohnen bleiben, wo ich jetzt schon wohne. Ich wohne in Düsseldorf-Friedrichstadt. Das ist ein sehr bunt gemischter Stadtteil. Hoher Migrationsanteil. Aber auch viele Menschen mit akademischem Abschluss leben da. Momentanes Problem: In dem Viertel werden massiv Grundstücke verkauft. Dadurch gehen die Mieten richtig in die Höhe. Viele Normalverdiener in Friedrichstadt können sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten. Groscheks Begriff vom Luxusghetto passt schon - etwa für die "Heinrich-Heine-Gärten" in Düsseldorf, die an USA-Reichenviertel erinnern mit Schranken vor der Einfahrt.

WDR.de: Wann begann das, dass aus dem schwierigen Wohnungsmarkt in Städten wie Köln und Düsseldorf eine Wohnungsnot wurde?

Erik Uwe Amaya (Haus & Grund)

Amaya sieht Gefahr für Vermieter durch Mietnomaden

Amaya: Zunächst einmal haben wir keine Wohnungsnot. Das muss man ganz deutlich sagen. Es gibt seit ein paar Jahren angespannte Wohnungsmärkte in Köln, Bonn, Düsseldorf und Münster. Im Umland gibt es dagegen Leerstände. Da werden einem die Wohnungen hinterhergeworfen. Das Problem ist, dass viele wegen der Euro- und Finanzkrise ins Betongold investieren wollen. Hinzu kommt der Zuzug durch mehr Studenten infolge der Aussetzung der Wehrpflicht und durch den doppelten Abiturjahrgang. Wir haben diese angespannten Märkte ja im Grunde nur in den großen Universitätsstädten.

Ongaro: Dortmund, Bochum und Essen sind doch auch Uni-Städte.

Amaya: Diese Städte haben wirtschaftliche Probleme. Die Rheinschiene ist wirtschaftlich sehr stark. Alle möchten hier hin. Da haben wir dann Probleme, da Studenten ja auch nicht am Stadtrand wohnen wollen, sondern im Zentrum. In Essen haben wir etwa die Annington, die schenkt Neumietern die ersten beiden Monatsmieten, da sie froh ist, überhaupt jemanden gefunden zu haben, der da hinziehen möchte. Wir haben also viele bezahlbare Wohnungen.

Streetworker Oliver Ongaro

Ongaro warnt vor Verdrängung alteingesessener Mieter

Ongaro: Da sieht man doch, dass es ein Problem der abgehängten Regionen ist. Es gibt da bestimmte Global Cities. Die stechen hervor durch Flughäfen, große Messen und starke Unternehmen. Das Flair dieser Städte zieht an. Das Ruhrgebiet wird dagegen immer weiter abgehängt. Und in attraktiven Städten wie Düsseldorf gibt es kaum noch bezahlbaren Wohnraum zwischen fünf und sechs Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter.

Amaya: Natürlich gibt es bezahlbaren Wohnraum. Den gibt es aber nicht an der Rheinuferpromenade. Oder nehmen Sie Köln. Da muss man einfach nach Chorweiler gehen. Da gibt es sogar Probleme mit leerstehenden Wohnungen. Da sind Abrisse angedacht, weil viele Menschen da nicht mehr wohnen wollen.

WDR.de: Aber wer möchte schon in Köln-Chorweiler wohnen?

Amaya: Ich widerspreche jedenfalls NRW-Minister Groschek, der sagte, es sei unzumutbar, am Stadtrand zu leben. Das ist unangemessen.

Ongaro: Ich arbeite als Streetworker für das Düsseldorfer Obdachlosen-Magazin fiftyfifty. Diese Leute stehen nicht im Verdacht, an die Rheinuferpromenade ziehen zu wollen. Die wollen einfach nur ein Dach über dem Kopf. Das ist das Problem. In einer Stadt, wo nur noch die Schönen und Reichen wohnen wollen, haben Geringverdiener keine Chance zum Wohnen. Stattdessen treiben Wohnungsunternehmen durch aggressives Aufkaufen in bestimmten angesagten Vierteln wie Düsseldorf-Flingern den Mietspiegel hoch. Da findet eine gezielte Verdrängung von finanzschwächeren Mietern statt.

Amaya: Was heißt Schöne und Reiche? Wenn ein Vermieter sagt, ich möchte keinen in meiner Wohnung haben, bei dem völlig unklar ist, ob der überhaupt die Miete bezahlen kann, dann leuchtet mir das ein. Das Problem ist: Wenn man einmal einen Mieter in seiner Wohnung hat, dann ist es sehr schwer, so jemanden wieder loszuwerden. Oder unterstützen Sie Mietnomaden?

Ongaro: Mietnomaden ist ein Kampfbegriff aus der "Bild"-Zeitung. Mindestens so polemisch wie Luxusghettos.

WDR.de: Minimalkonsens zwischen Ihnen ist, dass der Wohnungsmarkt in einigen Großstädten angespannt ist. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit Jahren in Düsseldorf und Köln. Wer ist denn politisch verantwortlich für die Probleme am Wohnungsmarkt? Stadt, Land oder der Bund?

Erik Uwe Amaya (Haus & Grund),  Streetworker Oliver Ongaro

Grundverschiedene Ansichten über Probleme am Wohnungsmarkt

Ongaro: Die Kommunen haben das Problem, dass sie schuldenfrei sein müssen. In Düsseldorf ist in der Ära des früheren CDU-Oberbürgermeisters Joachim Erwin eine Politik gestartet, massiv Geld in teure Prestigeprojekte zu stecken statt die städtische Wohnungsgesellschaft zu stärken. Es wäre dringend nötig, dass die Stadt Düsseldorf mehr Wohnungen schafft und alte kommunale Wohnungen saniert. Dadurch entzerre ich den Markt.

Amaya: Wir bräuchten eigentlich mehr Wohnungen. Aber die Kostenfaktoren für potenzielle Vermieter stimmen nicht.

Ongaro: Ich weiß, was jetzt kommt.

Amaya: Es fängt an bei der Grunderwerbssteuer. Das Land NRW hat diese Steuer erhöht von 3,5 auf 5 Prozent. Hinzu kommen immer neue Vorgaben zum Energiesparen. Dadurch wird Bauen noch teurer. Hohe Grundstückspreise lassen die Kosten wachsen. Das führt dazu, dass bei einer Mietwohnung als Neubau schon 9,50 Euro pro Quadratmeter verlangt werden müssen.

Ongaro: Ja, ich weiß, dass das so teuer gerechnet wird.

Amaya:  Wer soll das denn alles bezahlen? Man muss sich entscheiden. Entweder mehr Klimaschutz oder bezahlbarer Wohnraum. Beides zusammen geht nicht. Es gibt ohnehin schon falsche Weichenstellungen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass das Land NRW die Eigentumsförderung mittlerweile auf die Städte Köln, Düsseldorf und Münster beschränkt. Dadurch steuert die Politik in die falsche Richtung. Andere Städte müssen auch gefördert werden.

WDR.de: Die Wohnungsmisere ist Thema im Bundestagswahlkampf. Welche zwei oder drei konkreten Reformen sollte die nächste Regierung angehen?

Ongaro: Es wird sicher nichts passieren, denn das würde ein direktes Eingreifen in den Markt bedeuten. Wir haben irgendwann eine Lage wie in den USA. Dann gibt es den großen Crash wie beim Platzen der Immobilienblase vor einigen Jahren. Die Politik in Deutschland müsste eigentlich sofort eingreifen. Sonst führen die Verwerfungen durch den Markt zu katastrophalen Folgen. Und das kostet den Staat viel mehr als ein jetziges Eingreifen in den Markt. Die Kommunen müssen durch Neubauten für schnelle Entlastung sorgen dürfen. Gleichzeitig muss die Politik Städte wie etwa Duisburg durch Infrastrukturmaßnahmen attraktiver machen. Was gut wäre, ist eine Sanktion wie in Hamburg. Dort müssen Vermieter, die eine Wohnung zwölf Wochen leer stehen lassen, eine Geldbuße von 50.000 Euro zahlen. Das finde ich gut.

WDR.de: Fürchten Sie eine Mietpreisbremse nach der Wahl, Herr Amaya?

Amaya: Diese Drohkulisse führt zunächst einmal dazu, dass Vermieter jetzt noch vor der Wahl zu Mieterhöhungen greifen. Falls die Bremse dann kommt, wird dadurch keine einzige neue Wohnung neu geschaffen. Im Gegenteil.

Das Interview führte Martin Teigeler.

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