Autos verboten: Bilder vom Autofreien Sonntag

Pilotprojekt zur Zukunft der Städte

Kölner wollen "gutes Leben" proben

Stand: 28.01.2013, 12:08 Uhr

Kostenloser Nahverkehr, gemeinschaftliches Open-Air-Mittagessen, Ausstellungen zur urbanen Zukunft: In Köln-Ehrenfeld soll im September ein "Tag des guten Lebens" stattfinden. Dies entschieden die ehrenamtlichen Mitarbeiter des gleichnamigen Netzwerks am Samstag (26.01.13). Im Interview erklärt Initiator Davide Brocchi, worum es bei dem Projekt geht.

Herr Brocchi, was soll beim ersten "Tag des guten Lebens" in Köln-Ehrenfeld passieren?

Davide Brocchi: Ein Teil des Viertels soll für einen Tag autofrei sein und die Straßen stattdessen den Menschen zur Verfügung stehen. Die Menschen aus der Nachbarschaft sollen zusammenkommen, vielleicht ein großes gemeinsames Mittagessen unter freiem Himmel organisieren. Es sollen Seminare auf der Straße zum Thema Nachhaltigkeit und zur Zukunft der Städte und Ausstellungen von Künstlern stattfinden.

Das erinnert an die Aktion Still-Leben Ruhrschnellweg im Rahmen der Ruhr.2010, als die A 40 zwischen Duisburg und Dortmund einen Tag lang gesperrt wurde.

Porträt von Davide Brocchi

Davide Brocchi: "Wir benötigen eine Transformation der Stadt"

Brocchi: Ja, das ist sicher ein Vorbild. Andere Inspirationen sind Städte wie Brüssel und Hannover, in denen seit Jahren autofreie Sonntage stattfinden. Es gibt viele Städte mit fortschrittlichen Verkehrskonzepten. Im belgischen Hasselt ist der öffentliche Nahverkehr kostenfrei, in Kopenhagen gibt es richtige Autobahnen für Fahrräder. Auch in Deutschland gibt es Fahrradstädte wie Münster oder Erlangen. Das sind für die Zukunft spannende Ansätze. Denn unser Denken von Mobilität in den Städten wird sich ändern müssen.

Sie schreiben in Ihrem Konzept, dass es "um eine Vorbereitung der Stadtbevölkerung auf die kommenden Veränderungen" geht. Wie sehen diese Veränderungen aus?

Brocchi: Unser Lebensstil und unsere Wirtschaft basieren maßgeblich auf einer begrenzten und schwindenden Ressource: Erdöl. Wir müssen also die Abhängigkeit vom Öl senken. Das betrifft vor allem die Mobilität. Da müssen wir Alternativen anbieten: Weg von motorisiertem Individualverkehr, hin zu Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln. Die sollen am "Tag des guten Lebens" kostenlos sein, wir sind da in Gesprächen mit den Kölner Verkehrsbetrieben.

Sie wollen auch Märkte mit regionalen Produkten dabei haben.

Brocchi: Auch die Nahrungsmittelproduktion muss regionalisiert werden. Im Moment können wir uns Äpfel aus Chile leisten, weil der Transport preiswert ist. Das wird sich ändern. Daher wollen wir auch Landwirte aus der Region dabei haben, die ihre Produkte vorstellen. Wir benötigen eine umfangreiche Transformation der Stadt, und dieser "Tag des guten Lebens" soll als Taktgeber dienen. Es soll jedes Jahr einen Schwerpunkt geben, im Ersten Mobilität, im Zweiten vielleicht Energie.

Ursprünglich sollte die Veranstaltung in der Kölner Innenstadt stattfinden, nicht im eher alternativen Stadtteil Ehrenfeld. Sind Sie enttäuscht, dass sie nicht ins Zentrum der Stadt können?

Brocchi: Mein Konzept war für die Umweltzone der Kölner Innenstadt gedacht, aber von der dortigen Bezirksvertretung gab es eine Absage. Die meisten Parteien möchten die Freiheit der Menschen, Auto zu fahren, nicht beeinträchtigen. Die Lokalpolitiker im Stadtteil Ehrenfeld sind dem Vorschlag gegenüber offener, und haben uns Unterstützung zugesagt. Wir fangen da an, wo es möglich ist. Wir wollen in den nächsten Jahren auch andere Stadtteile Kölns und andere Städte inspirieren. Es ist wichtig, "Labore" zu kreieren, wo Alternativen ausprobiert werden.

Sie erwähnten Brüssel und Hannover, wo es schon seit Jahren autofreie Sonntage gibt. Wie sind die Erfahrungen dort?

Brocchi: In Brüssel wird die ganze Stadt einmal pro Jahr abgesperrt. Umfragen zeigen, dass diese Aktionen bei einem Großteil der Bewohner beliebt sind. Ähnlich ist das in Hannover. Ich habe Freunde dort, die ein Auto haben, sich aber freuen, dass sie an diesem einen Tag auf der Straße spazieren gehen können. Man kann die Stadt aus einer ganz anderen Perspektive erleben.

Aber liegt nicht genau da die Gefahr des einmaligen Events, bei dem die Menschen einen Tag ihr ökologisches Gewissen beruhigen und dann so weiter machen wie bisher?

Brocchi: Wir müssen den Menschen zeigen, dass es nicht nur um Verzicht geht, sondern auch um Möglichkeiten. Es geht um eine Wiederentdeckung des öffentlichen Raums, um Entschleunigung, um mehr Lebensqualität in den Städten.

Das Netzwerk für den "Tag des guten Lebens" ist eine ehrenamtliche Initiative. Wie finanzieren Sie sich?

Brocchi: Bislang werden wir ausschließlich von der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW unterstützt. Wir brauchen aber noch mehr Geldgeber, denn der "Tag des guten Lebens" ist ein großes Projekt mit hohen Auflagen von Stadtseite, die wir erfüllen müssen. Aber wir wollen eben auch konsequent nachhaltig sein, das macht es nicht leichter. Wir möchten zum Beispiel kein Geld vom Energieversorger RheinEnergie AG und deren Stiftungen nehmen, denn deren Strom kommt zum großen Teil aus Kohlekraftwerken. Wir wollen kein Greenwashing für die betreiben.

Wie ist die Unterstützung aus der Zivilgesellschaft?

Brocchi: Zu unserem Netzwerk gehören mittlerweile fast 70 Organisationen, von Umweltinitiativen bis hin zu Theater- oder Kultureinrichtungen. Die Resonanz "von unten" kam sehr schnell in den vergangenen Monaten. Inzwischen gehören auch die Bezirksvertretung Ehrenfeld und die Kölner Verkehrsbetriebe zu unserem Netzwerk. So gesehen bin optimistisch, dass wir das hinbekommen.

Wie schaut ihrer Meinung nach die Stadt im Jahr 2030 aus?

Brocchi: Das Teilen wird immer wichtiger im Vergleich zum privaten Besitz: Fahrgemeinschaften, Car-Sharing, öffentliche Verkehrsmittel. Meine große Hoffnung ist, dass der Wandel nicht erst durch Konflikte erzwungen wird. Was passiert, wenn man nicht vorbereitet ist, lässt sich am Beispiel meiner Heimat Italien ablesen. Im März 2012 stiegen dort die Benzinpreise extrem an. Viele konnten sich die Autofahrt zur Arbeit nicht mehr leisten, die Zahl der Fahrgäste der öffentlichen Verkehrsmittel nahm in Großstädten wie Rom und Mailand um 30 Prozent zu. Das hat fast zu einem Kollaps der ÖPNV-Infrastruktur geführt. Hinzu kommt die soziale Ungleichheit: Wenn sich nur eine bestimmte Schicht das Autofahren leisten kann, führt das zu Konflikten.

Das Interview führte Christian Steigels.

Davide Brocchi wurde 1969 geboren und hat in Bologna Sozialwissenschaften studiert. Seit 1992 lebt er in Deutschland und seit 2005 in Köln. Er unterrichtet an der Universität Lüneburg und an der Kölner Akademie ecosign.

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