Interview zum Thema Bevölkerungsschutz

Japan und die Konsequenzen für uns

Stand: 23.03.2011, 06:00 Uhr

Mit den Folgen der Naturkatastrophen in Japan beschäftigen sich Wissenschaftler der Universität Wuppertal. Frank Fiedrich lehrt dort Bevölkerungsschutz. Er wünscht sich, dass auch in Deutschland mehr für Katastrophen vorgesorgt wird.

Seit mehr als einem Jahr leitet Frank Fiedrich an der Universität Wuppertal den Lehrstuhl für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Der ist in dieser Form einmalig in Deutschland. Geforscht und gelehrt wird, wie unvorhersehbare Ereignisse bewältigt werden können. Welcher Art die Katastrophe ist, das steht dabei für die Wissenschaftler im Hintergrund. Frank Fiedrich verfolgt seit Tagen die Ereignisse in Japan aus beruflichem Interesse. Das Ausmaß an Schäden habe auch ihn überwältigt, sagt Fiedrich im Gespräch mit WDR.de.

WDR.de: Was empfinden Sie, wenn Sie die Bilder aus Japan sehen?

Frank Fiedrich: Es ist auch für mich immer wieder erschreckend, diese Bilder zu sehen. Die machen mich sehr betroffen, vor allem durch die Hilflosigkeit aus der Ferne. Ich würde mir wünschen, dass das Leid der Menschen dort möglichst bald gelindert werden kann.

WDR.de: Warum ist es in Japan trotz moderner Infrastruktur möglich, dass Menschen tagelang in kalten Turnhallen sitzen und kaum etwas zu essen bekommen?

Fiedrich: Es ist genau das, was eine Katastrophe ausmacht. Das tägliche Leben ist außer Kraft gesetzt, weil auch die Infrastruktur stark in Mitleidenschaft gezogen ist. Es ist dann relativ egal, ob es eine Industrienation wie Japan oder die USA trifft, oder Entwicklungsländer wie Haiti oder Pakistan. Die Auswirkungen sind, sobald ein gewisses Maß übertroffen ist, immer die Gleichen. Deshalb verwundert es mich nicht, dass es auch in Japan einige Zeit braucht, bis die Hilfe anläuft.

WDR.de: Was muss aus Ihrer Sicht jetzt in Japan passieren, damit den Menschen schnell geholfen wird?

Fiedrich: Ich denke, dass die Bewältigung der Katastrophe in Japan unter den gegebenen Umständen sehr gut läuft. Natürlich gibt es immer wieder Optimierungspotenzial, aber die Japaner sind auf einem guten Weg. Sie versuchen die Hilfe zu organisieren, indem sie zentrale Anlaufstellen anbieten und die internationale Hilfe besser in ihre eigenen Strukturen einbinden. Der zeitliche Ablauf ist wie bei jeder Katastrophe: Es dauert einfach länger, bis man die Lage bewältigen kann.

WDR.de: Wie würde eine Naturkatastrophe solchen Ausmaßes Deutschland treffen?

Fiedrich: Das könnte durchaus vergleichbar ausfallen. Deutschland führt zwar sehr viele Analysen zu den Naturgefahren durch, etwa für Hochwasser oder Erdbeben. So etwas hilft aber nur bis zu einem gewissen Maß. Wenn die Ereignisse dann das Vorgesagte übertreffen, hätten auch wir sehr stark mit der Bewältigung zu kämpfen.

WDR.de: Verlassen sich die Deutschen zu sehr auf Analysen und amtliche Katastrophenpläne?

Fiedrich: Das stimmt zum Teil. Sicherlich braucht es solche Pläne, um sich im Vorfeld mit einer drohenden Katastrophe zu beschäftigen. Es geht darum, dass etwa Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Bei der eigentlichen Katastrophe kann man den Plan dann, wenn man Glück hat, noch irgendwie abarbeiten. Wenn das nicht geht, kommt aber auch Improvisation ins Spiel, das heißt, die Pläne müssen angepasst werden.

WDR.de: In Katastrophenfilmen kommen in diesen Momenten immer Protagonisten ins Spiel. Werden solche Anführer auch bei realen Katastrophen gebraucht, wenn die Pläne nicht mehr funktionieren?

Fiedrich: In solchen Hollywoodfilmen wird aber auch die Bevölkerung immer als sehr panisch dargestellt, wo dann das Zusammenleben nicht mehr funktioniert. In Japan sehen wir jetzt, dass das normalerweise nicht der Fall ist. Die Bevölkerung hilft sich gegenseitig. Das ist ein sehr wichtiger Grundpfeiler dafür, dass es möglichst schnell wieder in Richtung Normalität geht. Nicht desto trotz ist eine starke Persönlichkeit, die vorausschaut, eine wichtige Voraussetzung, dass das auch funktioniert. Wobei es dazu auch andere Auffassungen gibt, aber meiner Meinung nach muss eine gewisse Führerschaft vorhanden sein. Wenn auch nicht gerade so, wie es in Hollywood gespielt wird.

WDR.de: Die Menschen in Japan scheinen mit den Folgen des Erdbebens und des Tsunamis sehr besonnen umzugehen, was uns Europäer manchmal verwundert. Wäre ein ähnliches Verhalten auch hier zu erwarten?

Fiedrich: Das ist sicherlich eine Frage der Mentalität und der Kultur, in der die Menschen leben, wie sie mit solchen Situationen umgehen. Es lässt sich schwer sagen, wie die Deutschen damit umgehen würden. Doch wenn man in die Geschichte zurückblickt, in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, sieht man, dass die Leute damals auch zusammengehalten haben. Heute würde das prinzipiell ein wenig panischer sein, aber dennoch kein maßloses Chaos ausbrechen. Dafür sind auch die Deutschen zu vernünftig.

WDR.de: Worauf müssten sich die Deutschen bei einer Katastrophe einstellen?

Fiedrich: Zunächst mal sollte jeder für sich einen besseren Selbstschutz treffen und sich nicht auf Hilfe und Unterstützung von außen verlassen. Es gibt entsprechende Informationsmaterialien, was jeder für sich etwa an Lebensmitteln haben sollte. Man muss sich darauf einrichten, ohne Strom klarzukommen. Da ist jeder Einzelne stark gefragt. Denn jeder, der sich selbst für eine gewisse Zeit helfen kann, braucht keine Unterstützung durch den Staat oder Hilfsorganisationen.

WDR.de: Handeln wir in Sachen Katastrophenschutz zu blauäugig, wenn wir uns auf den Staat verlassen?

Fiedrich: In Deutschland, aber auch in anderen industrialisierten Staaten, ist das sicherlich so. Wir verlassen uns viel zu sehr auf eine funktionierende Umwelt, dass es immer Strom gibt und dass unsere Infrastruktur in Ordnung ist. Deshalb ist es in unserer Gesellschaft sehr schwer geworden, mit ungewöhnlichen Situationen umzugehen. Von daher sollte sich jeder mit dem Gedanken vertraut machen, dass es auch Momente geben kann, wo die Dinge nicht mehr wie gewohnt funktionieren. Auch die privaten Betreiber von kritischen Infrastrukturen, also Strom, Wasser und dergleichen, müssen sich bewusst werden, dass durch den Ausfall die Bevölkerung im weiten Umfeld betroffen sein kann.

WDR.de: Wie werden Sie die Katastrophen in Japan in ihre tägliche Arbeit einfließen lassen?

Fiedrich: Leider passiert in letzter Zeit relativ viel an aktuellen Ereignissen. Aber ich werde das in den Vorlesungen entsprechend aufbereiten, um zu zeigen, wie die Hilfsmaßnahmen im Einzelnen abgelaufen sind. Nach dem Erdbeben im Haiti im vergangenen Jahr habe ich beispielsweise die Mechanismen der internationalen Hilfe beleuchtet. Ich versuche, mich immer auf aktuelle Ereignisse zu beziehen.

Das Interview führte Robert Franz.