Vom Studenten in Deutschland zum Chief in Kamerun
Der Chief aus dem Rheinland
Stand: 23.07.2007, 06:00 Uhr
Er hat in Bonn studiert, geheiratet, vier Kinder bekommen - und wurde während dieser Zeit Chief seines Dorfes in Kamerun. Vor sechs Jahren kehrte Forbellah Charles Morfaw in seine Heimat zurück - und wurde aufgefordert, sein monogames Leben aufzugeben.
Von Stephanie Hallberg
1989 kam Forbellah Charles Morfaw ins kalte Deutschland. Der 23-Jährige sprach kein Wort Deutsch, kannte niemanden, hatte keinen Studienplatz, keine Unterkunft und nur ein Touristenvisum in der Tasche. Wie Morfaw es schaffte, Fuß zu fassen, Freunde zu gewinnen und den Kulturschock zu überwinden, schildert er in seinem Buch "Leben zwischen zwei Welten". Und er schreibt über die Herausforderungen, denen er sich nach seiner Rückkehr in die Heimat als Chief seines Dorfes stellen musste.
WDR.de: Während Ihres Studiums in Bonn wurden Sie zum Chief ihres Dorfes Fontem gewählt. Wie hat das Ihr Leben verändert?
Chief Forbellah Charles Morfaw: Als mir 1991 das Amt des Chiefs von Bellah Ngangah zukam, war ich plötzlich eine wichtige Persönlichkeit und hatte Zugang zu Kreisen, die mir zuvor verschlossen waren. Plötzlich wurde ich zu Empfängen und Treffen eingeladen, die Medien interessierten sich für mich. Der WDR hat beispielsweise 45 Minuten lang über meine Hochzeit berichtet. Ich lernte den Papst und Bill Clinton kennen. Als einfacher Student wäre das nie denkbar gewesen. Jetzt habe ich Beziehungen überall hin.
WDR.de: Wie wirkte sich das auf Ihren Alltag aus?
Morfaw: Nur ein Beispiel: Ich bin einmal mit dem Bus auf dem Weg zur Uni gewesen. Am Abend zuvor hatte mich Alfred Biolek in seiner Talkshow als Gast eingeladen. Und dann sagte der Fahrgast neben mir: Wir haben gestern einen kamerunischen Chief im Fernsehen gesehen, kennen Sie den? Und ich saß da in Jeans, da konnte ich nicht sagen, dass ich dieser Chief bin. Die denken doch dann, ich mache mir einen Spaß. Umgekehrt musste ich mir teure Anzüge zulegen, um auf dem diplomatischen Parkett und diesem anderen Milieu der Empfänge zu bestehen. Wenn ich mit so einem Anzug zur Uni kommen gekommen wäre, hätten mich alle ausgelacht. Wichtig ist, sich anzupassen. Das macht das Leben leichter.
WDR.de: In der Talkshow von Alfred Biolek ging es auch um das Thema Polygamie. Ein Thema, mit dem Sie sich vor allem seit Ihrer Rückkehr nach Kamerun stark auseinandersetzen müssen.
Morfaw: Das Thema Polygamie darf man nicht mit europäischen Augen sehen und denken, was sie da in Afrika machen, ist verkehrt. Als Stammeshäuptling beispielsweise ist man zur Polygamie verpflichtet. Ich selbst habe mich dazu entschlossen, monogam zu leben, obwohl viele Verwandte und Freunde mich bedrängten, mir weitere Frauen zu nehmen. Aber das sehe ich nicht ein. Ich brauche nicht viele Kinder für die Altersversorgung, ich werde Rente bekommen. Außerdem bin ich Christ, also muss ich den christlichen Regeln folgen. Mit einem Fuß rein und mit dem anderen draußen bleiben, das geht nicht.
WDR.de: Üben Sie auf Grund Ihrer Erfahrungen in Deutschland das Amt des Chief anders aus als andere?
Morfaw: Früher gab es bei uns in Fontem kein Trinkwasser, keinen Strom, kein Telefon. Und noch heute gibt es keine asphaltierte Straße dorthin. Noch während meines Studiums in Bonn habe ich über Spenden ein Trinkwasserprojekt verwirklicht. Dank der Unterstützung von Freunden und der Kirche in Deutschland haben wir seit April dieses Jahres auch Strom. In der Universitätsstadt Dschang, die 45 Kilometer vom Dorf entfernt ist, haben meine Frau und ich eine Grundschule mit Kindergarten aufgebaut. Andere Chiefs schaffen das nicht, weil sie nicht meine Beziehungen haben.
WDR.de: Sind Sie immer noch oft in Deutschland oder sind Kontakte im Laufe der letzten Jahre eingeschlafen?
Morfaw: Nein, im Gegenteil. Der Kontakt zu Deutschland ist sehr stark geblieben. Viele meiner Freunde sind schon in Kamerun gewesen, beispielsweise als meine Frau und ich traditionell geheiratet haben. Zudem haben wir an unserer Schule deutsche Praktikanten. Im Durchschnitt komme ich einmal pro Jahr hierher, um Freunde zu besuchen oder Menschen, die unser Schulprojekt in Kamerun unterstützen. Die Schule gibt es seit vier Jahren, aber das Gebäude ist noch nicht fertig. Jedes Jahr bauen wir einen neuen Klassenraum an. (Er lacht) In Deutschland wäre so ein Vorgehen nicht erlaubt.
WDR.de: Sie sind in Deutschland, im Gegensatz zu vielen anderen ausländischen Studenten, sehr schnell integriert gewesen. Worauf führen Sie das zurück?
Morfaw: Ich bin der Ansicht, man sollte nicht klagen und warten, sondern offen, flexibel und bereit zum Dialog sein. Wichtig ist, selbst den ersten Schritt machen und nicht darauf zu warten, dass die anderen es tun. Wenn ich jemanden auf der Straße sehe, grüße ich ihn. Kommt nichts zurück - o.k., aber dann hat der andere selbst Pech gehabt. So ist das Leben. Allein ein "Guten Morgen!" kann alles positiv verändern. Und viele Deutsche sind bereit, sich zu öffnen, wenn man sich ihnen angemessen nähert.
WDR.de: Gibt es etwas, das die Deutschen von den Kamerunern lernen können?
Morfaw: Da gibt es viel. Wenn das Wort "Entwicklungshilfe" fällt, frage ich gerne: In welche Richtung? Ein glückliches Leben beispielsweise oder Reichtum beginnt, wenn man Freunde hat, wenn man gesund ist. Man sollte nicht immer nur in den Geldbeutel gucken. Geld allein macht nicht glücklich. In Kamerun haben die Leute weniger, aber sie sind glücklich in ihrer Welt. Die Menschen dort kümmern sich auch mehr umeinander, sind mehr füreinander da. Wenn mich Freunde aus Deutschland besuchen oder Praktikanten hier an die Schule kommen, erleben sie das. Das gibt ihnen Mut, denn sie sehen: Selbst wenn es vielleicht mal schwierig ist, das Leben geht weiter.
Das Gespräch führte Stefanie Hallberg.