Ein Kreuz  Klassenzimmer einer Grundschule

Bekenntnisschule trotz anderem Glauben

Nachteile beim Abmelden vom Religionsunterricht?

Stand: 15.12.2012, 06:00 Uhr

Ein Drittel der Grundschulen in NRW ist konfessionell gebunden. Oft gehen dennoch Migrantenkinder anderen Glaubens auf diese Schulen. Initiativen monieren, dass es Probleme gibt, wenn diese Kinder vom Religionsunterricht befreit werden. Schulbehörden bestreiten das.

Von Arnd Zickgraf

"Geh doch in den Iran, wenn du andauernd aufmuckst", heisst es in einer E-Mail an Levent Ulus, Vertreter des Türkischen Elternvereins Mönchengladbach. Wer die E-Mail geschrieben hat, weiß der Vater dreier Kinder nicht - er hat zwar den Namen gelesen, weiß aber nicht, wer dahinter steckt. Mehrmals ist er im Internet schon beschimpft worden, weil er sich für die Rechte von Migranten-Familien einsetzt.

Genauer: Für das Recht von Kindern, auf einer Bekenntnisschule trotz Befreiung vom Religionsunterricht nicht benachteiligt zu werden.

Viele Bekenntnisschulen in NRW

An Bekenntnisschulen werden Kinder nach den Grundsätzen der entsprechenden Religion unterrichtet und erzogen. Von den über 3.000 Grundschulen in NRW sind 946 katholisch, 100 evangelisch und zwei jüdisch. Bedingung, an einer konfessionellen Schule aufgenommen zu werden, ist eine Erklärung, die Kinder nach den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erziehen zu lassen - und dazu zählen auch die Teilnahme an Gottesdiensten und Religionsunterricht.

Dabei garantiert das Schulgesetz NRW (§ 31 Absatz 6) Eltern aber auch, ihre Kinder aufgrund einer Erklärung vom Religionsunterricht abmelden zu dürfen. Das gilt auch für Bekenntnisschulen. Allerdings funktioniert laut Levent Ulus die Abmeldung vom Religionsunterricht nicht mehr so einfach, wie vor der Reform des Schulgesetztes NRW 2006. Die Schulen können und sollen seitdem ein eigenes Profil entwickeln, das sie von einander unterscheidet. Auch Bekenntnisschulen schärfen so mit ihren Unterrichtsangeboten ihr Profil.

"Integration sieht anders aus"

Seit der Reform, so Levent Ulus, sei eine Befreiung der Kindes vom Religionsunterricht zwar weiter möglich, doch es habe schon Benachteiligungen gegeben, wenn Familien und Kinder dieses Recht ausgeübt haben. So soll ein Junge mit Migrationshintergrund sich im Musikunterricht die Ohren bei einem christlichen Weihnachtslied zugehalten haben. Die Familie hatte ihn dazu angewiesen, dies bei christlichen Liedern zu tun. Die Schuldirektorin habe die Familie daraufhin als fundamentalistisch bezeichnet und gedroht, dass der Vorfall Einfluss auf die Note habe. Ein weiteres Beispiel: Eine evangelische Bekenntnisgrundschule in Mönchengladbach hat sich laut Ulus geweigert, das jüngste von drei Geschwistern einer türkischen Familie aufzunehmen, weil die älteren Geschwister nach der Einschulung vom Religionsunterricht abgemeldet wurden. Die Bekenntnisschule habe bezweifelt, dass die Anmeldung aufrichtig gemeint sei. Ulus meint dazu: "Integration sieht anders aus."

Viele muslimische Eltern in Mönchengladbach haben dem Elternvertreter zufolge wegen solcher Vorfälle Angst, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, die Kinder vom Religionsunterricht abzumelden. Sie befürchteten Nachteile, etwa dass die muslimischen Kinder keine Empfehlung mehr fürs Gymnasium bekommen.

Schulamt Mönchengladbach: Alternativen zu Bekenntnsschulen

Warum werden Migrantenkinder von ihren Eltern dann nicht einfach auf andere Schulen geschickt? Da es in bestimmten Städten des Landes wie Mönchengladbach einen hohen Anteil von Bekenntnisschulen gibt, bleibe Migrantenfamilien oft nichts anderes übrig, als auf Bekenntnisschulen zu gehen, meint Levent Ulus. Ansonsten müssten die Kinder lange Wege auf sich nehmen, um zu ihrer Schule zu kommen. Deshalb würden Eltern die Erklärung unterschreiben, dass ihre Kinder nach der jeweiligen Religion an der Schule erzogen werden sollen.

Monika Franzen vom Schulamt Mönchengladbach widerspricht. Ihr sei kein Fall bekannt, dass eine Bekenntnisschule ein Geschwisterkind abgewiesen hätte, nachdem die älteren Geschwister sich nach der Aufnahmeerklärung vom Religionsunterricht abmelden ließen. Zugleich sagt die Schulamtsdirektorin: "Es ist klar, dass Kinder nicht aufgenommen werden können, wenn die Schulleitung weiß, dass Eltern ihr Kind eigentlich nicht im Sinne des Bekenntnisses unterrichten und erziehen lassen wollen." Dass es in Mönchengladbach keine Alternativen zu evangelischen oder katholischen Bekenntnisschulen gäbe, bestreitet Monika Franzen. Auch dort, wo sich Bekenntnisschulen konzentrierten - zum Beispiel in Mönchengladbach-Rheydt - gäbe es noch genügend Gemeinschaftsgrundschulen in zumutbarer Entfernung. Zumutbare Entfernung entspricht laut Franzen einem Radius von etwa zwei Kilometern. Diejenigen Kinder, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, könnten ein ermäßigtes Schülerticket bekommen.

Gewerkschaft: Integration regional erschwert

Der Anteil von Migrantenkindern in NRW an katholischen Grundschulen liegt bei 24 Prozent und an evangelischen bei 35 Prozent. Warum gehen soviele Migrantenkinder eigentlich auf Bekenntnisschulen? Einen Grund nennt Jörg Harm, stellvertretender Sprecher des Schulministeriums NRW: "Viele Eltern melden ihre Kinder an Bekenntnisschulen an, weil sie das dortige Bildungsangebot schätzen." Berthold Paschert, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nennt noch einen weiteren Grund: "Es gibt aber auch muslimische Eltern, die ihr Kind bewusst auf eine Bekenntnisschule schicken, weil dort nicht so viele Ausländer sind." Ob eine solche Schule Kinder anderen Glaubens überhaupt aufnehme, hänge davon ab, ob die Schule Kinder brauche, um nicht geschlossen zu werden. Wenn ja, nehme auch eine Bekenntnisschule Muslime auf. Könne sich eine Konfessionsschule vor Ort die Kinder aussuchen, achte sie hingegen sehr stark auf die Religion des Kinder. Das Fazit des GEW-Sprechers: "Bekenntnisschulen erschweren die Integration", wenn auch regional sehr unterschiedlich.

"Diskriminierung im Namen Jesu Christi"

Die Initiative "Kurze Beine - Kurze Wege" aus Bonn engagiert sich wie Ulus für ein problemloses Abmelden vom Religionsunterricht. Weil Kinder, die nicht dem Schulbekenntnis angehören, eingeschränkt würden, will die Initiative Bekenntnisgrundschulen in Gemeinschaftsgrundschulen umwandeln lassen. Allerdings ist dafür eine Mehrheit von zwei Drittel der Eltern nötig. In Mönchengladbach-Rheydt, wo sich Bekenntnisschulen konzentrieren, gibt es bereits einen solchen Fall. Dort seien die Eltern einer katholischen Bekenntnisschule mit einem Migrantenanteil von rund 50 Prozent dabei, diese in eine Gemeinschaftsschule umzuwandeln, sagt Monika Franzen vom Schulamt Mönchengladbach.

Die gesetzliche Regelung ist laut Max Ehlers, Mitglied von "Kurze Beine - kurze Wege", aber eine hohe Hürde, so dass die Schulform nur selten umgewandelt werde. Wer nicht zur Wahl gehe, weil er sich beispielsweise nicht traue, offen dafür zu stehen, dessen Stimme sei verloren. Umgekehrt: Wenn man gegen die Umwandlung in eine Gemeinschaftsschule sei, müsse man einfach nur nicht zur Wahl gehen. „Das ist Diskriminierung im Namen Jesu Christi auf Kosten der Allgemeinheit“, sagt Ehlers.

Erzbistum Köln: Keine Pflicht zum Gottesdienst

Dem widerspricht die katholische Kirche. "Für die Bekenntnisschule ist es eine Selbstverständlichkeit, dass - orientiert am christlichen Menschenbild - jede und jeder Einzelne in seiner Würde geachtet wird", erklärt Andrea Gersch, Schulrätin des Erzbistums Köln. Nicht-katholische Schüler der zum Erzbistum gehörenden Bekenntnisschulen gehörten fest zur Schulgemeinschaft. Es gehe darum, Unterschiede nicht zu verwischen und Eigenheiten des anderen sorgsam zu achten.

Unterschriftenaktion geplant

Werteerziehung ist für Levent Ulus etwas anderes als christlicher Gottesdienst. Da er nicht davon ausgeht, dass sich die Situation für die Migrantenkinder ändern wird, will er eine große Unterschriftenaktion starten. "Wir haben Kontakt zu vielen Kulturvereinen, die werden sich dranhängen", so Ulus.