Arbeiter hockt vor einem zwei Meter tiefen Loch

Immer wieder Tagesbrüche auf Rosterberg

Stadtviertel auf hohlem Grund

Stand: 01.08.2009, 00:00 Uhr

Auf Sand gebaut wäre harmlos dagegen: 22 stillgelegte Erzgruben ziehen sich kreuz und quer durch den Siegener Rosterberg. Zwar sucht die Bergverwaltung seit Jahren nach Hohlräumen dicht unter Häusern und Straßen, doch längst nicht alle sind entdeckt.

Von Stefan Michel

Im Herbst 2008 passiert es auf dem Rosterberg gleich zwei Mal innerhalb weniger Wochen: Zuerst stürzt die Terrasse eines Wohnhauses in einen Abbau der Grube Philippshoffnung. Dann öffnet sich vor einem anderen Wohnhaus, 600 m entfernt, plötzlich der Boden. Die Einfahrt zur Garage verschwindet in einem Schacht der stillgelegten Erzgrube Feldberger Erbstollen. Vermutlich ist dieser zweite Tagesbruch durch Arbeiten 30 Meter tiefer ausgelöst worden: Dort unten untersuchen Bergarbeiter im Auftrag der Bezirksregierung Arnsberg, Dezernat Bergverwaltung, die alte Grube, um gefährliche Hohlräume in Häusernähe aufzuspüren. Vom Mittelalter bis in die 1930er Jahre wurde in dem Berg nach Eisen und Kobalt gegraben, und längst nicht alle alten Stollen sind dokumentiert. So ereignen sich alle Jahre wieder auf dem Rosterberg Tagesbrüche. Allerdings ist der Schaden bislang noch nie so groß gewesen wie 2004.

Vier Tagesbrüche in Serie

Am 12. Februar 2004 gibt der Boden unter dem Haus Gläserstraße 112 nach. Eine Hausecke bricht ab, das gesamte Fundament gerät in Bewegung. Zwei Wochen später öffnet sich dann in der Wiese zwischen dem Haus 112 und der benachbarten Häuserreihe ein weiterer Krater, der als das "Siegener Loch" bekannt wird. Rund 90 Lkw-Ladungen Beton lässt die Bergbehörde in dieses Loch pumpen. Doch der Beton fließt in die Tiefe davon. Erst als der Boden des Kraters mit Blechen abgedichtet wird, kann das "Siegener Loch" gefüllt werden. Fast 100 Menschen müssen währenddessen ihre Wohnungen räumen. In den folgenden Wochen entstehen in nächster Nähe zwei weitere, kleinere Tagesbrüche.

So war's: 10 Jahre Siegener Loch

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Ein Jahr Arbeit am "Siegener Loch"

Erst am 10. Februar 2005, fast auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn dieser Ereignisse, beendet die Bergverwaltung ihre Sicherungsarbeiten in der Gläserstraße und zieht Bilanz: 22.000 Tonnen Baustoff sind in den Berg gepumpt worden. 520 Bohrungen mit einer Gesamtlänge von 14 Kilometern sind von der Gläserstraße aus in den Berg getrieben worden. Vier Millionen Euro hat das Land dafür ausgegeben.

Rechtsstreit dauert an

Und das juristische Nachspiel ist auch fünfeinhalb Jahre nach diesen Tagesbrüchen noch nicht beendet. Der Besitzer des abbbruchreifen Hauses Gläserstr. 112 hat das Land verklagt. Der Kläger behauptet, die Bergverwaltung (eine Landesbehörde) habe den Tagesbruch vom 12. Februar 2004 durch unsachgemäßes Vorgehen selbst ausgelöst. Wann das Landgericht Siegen ein Urteil fällt, ist nicht absehbar.

Drei Gefahrenzonen eingegrenzt

Nach den Ereignissen von 2004 ist eine Expertengruppe, die "AG Rosterberg", eingesetzt worden. Sie wertet die vorhandenen Unterlagen über den Altbergbau unter diesem Stadtviertel aus, um die Gefahrenzonen einzugrenzen. Drei Gefahrenzonen macht die AG ausfindig: den oberen Rosterberg rund um die Gläserstraße und ein Gymnasium, den Norden des Viertels mit dem Kongresszentrum Siegerlandhalle und den Süden mit einem Krankenhaus.

Fürs Krankenhaus gibt es rasch Entwarnung: Bei Untersuchungsbohrungen werden keine Hohlräume gefunden. Anders an der Siegerlandhalle: Hier werden alte Stollen entdeckt, die zum Teil nur zweieinhalb Meter unterhalb von Parkplatz und Hallenboden liegen. 1981 gab es hier schon einmal einen größeren Tagesbruch. Die Stollen unter dem Kongresszentrum werden gefüllt, Kosten: rund 550.000 Euro.

Die dritte Gefahrenzone wird so schnell nicht gesichert sein, der obere Rosterberg. Nach dem teuren und zeitraubenden Einsatz am Siegener Loch gehen die Bergexperten aber dort jetzt nach einer anderen Methode vor: Statt den Untergrund mit Bohrungen von der Oberfläche aus zu erkunden, verschaffen sie sich Zugang zu den stillgelegten Gruben, um unter Tage nach gefährlichen Hohlräumen zu suchen. Das ist effektiver und kostengünstiger als die Verdachtsbohrungen. Weil es im Siegerland keine Bergleute mehr gibt, die sich auf die Erschließung alter Gruben verstehen, hat die Bezirksregierung eine Firma aus dem thüringischen Erzgebirge beauftragt.

Hohlräume unter der Schule

Am 1. August 2007 nehmen die Experten aus Thüringen ihre Arbeit auf. Neben der Turnhalle des Gymnasiums ist ein Schacht entdeckt worden, der mit lockerem Geröll gefüllt ist, und den legen sie frei. Er führt hinab in die weit verzweigte Erzgrube Philippshoffnung. Ein Jahr darauf räumen sie den Zugang zu einer anderen Grube, zum Feldberger Erbstollen. Noch ein Jahr später sind es bereits vier Baustellen auf dem Rosterberg, von denen aus sich die Bergleute den Weg in die Tiefe bahnen: Auch an den beiden Wohnhäusern, vor denen sich im Herbst 2008 die Erde öffnete, haben sich die Bergarbeiter für längere Zeit eingerichtet.

Anfang August 2009, nach zwei Jahren Bergsicherung unter Tage, sieht die Bilanz so aus: Ein Schacht sowie ein Stollen-Abschnitt dicht unter dem Gymnasium sind komplett mit Beton gefüllt. Andere Hohlräume unter der Schule könnten jederzeit gesichert werden, dafür ist alles vorbereitet. Rund 1,7 km Stollen und Schächte sind erkundet. Das hat rund 2,5 Mio. Euro gekostet. Und verglichen mit den Sicherungsarbeiten am "Siegener Loch" ist das nicht einmal viel Geld. Aber es ist auch erst der Anfang: Auf die Bergexperten wartet noch enorm viel Arbeit im Rosterberg.

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