Hinter der verdeckten Schaufensterscheibe sind die Buchstaben 'AUS' zu lesen

Interview mit Planungsexperte Theo Kötter zur Arcandor-Krise

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Stand: 08.06.2009, 02:00 Uhr

Der Städtetag warnt: Eine Arcandor-Pleite führe zur "Verödung der Innenstädte". Planungsexperte Professor Theo Kötter wundert sich, warum das den Kommunen nicht früher aufgefallen ist, sieht aber Chancen in der Krise.

Theo Kötter, 52, ist Professor für Städtebau und Bodenordnung an der Universität Bonn. Vor seiner Lehrtätigkeit sammelte der gebürtige Westfale mehrere Jahre praktische Erfahrung als Mitarbeiter von Entwicklungs- und Sanierungsträgern. WDR.de sprach mit dem Experten für Stadtplanung, welche Auswirkungen eine Arcandor-Pleite hätte und wie die Städte auf Leerstand reagieren müssen.

WDR.de: Herr Kötter, Arcandor geht möglicherweise in die Insolvenz. Welche Auswirkung hat es auf die Innenstädte, wenn Kaufhäuser wie Karstadt und Hertie schließen müssten?

Professor Theo Kötter: Es würde sich auf jeden Fall einiges verändern. Kaufhäuser haben eine lange historische Entwicklung im Stadtgefüge. Sie sind Magneten für die Innenstädte und Frequenzbringer für den Einzelhandel. Wenn sie schließen, steht die jeweilige Stadt vor einem großen Problem, und das heißt Leerstand. Insbesondere bei Riesen wie Karstadt sind es immer gleich mehrere Tausend Quadratmeter, die neu belebt werden müssen. Dieser Umbruch birgt aber auch Chancen.

WDR.de: Wie sehen die aus?

Kötter: Viele Projektentwickler, die in den vergangenen Jahrzehnten eher außerhalb der Innenstädte investiert haben, sind mittlerweile wieder an Objekten in den Zentren interessiert. Allerdings traut sich dabei keiner mehr an das alte Warenhauskonzept heran. Gesucht werden eher Gewerbeflächen für Shop-im-Shop-Modelle, wie sie von größeren Modehäusern, die verschiedene Markenshops unter ihrem Dach haben, schon seit Längerem betrieben werden. Oder Gewerbeflächen für großflächigen Einzelhandel wie Elektroketten.

WDR.de: Der Städtetag warnt bei einer Insolvenz von Arcandor vor einer "Verödung der Innenstädte"? Was genau bedeutet das eigentlich?

Kötter: Das ist tatsächlich ein Begriff, der nie klar definiert wurde und auch immer wieder unterschiedlich verwendet wird. In der Wissenschaft verstehen wir darunter neben Kundenrückgang, Leerständen von Ladenlokalen und Verwahrlosung des öffentlichen Raumes vor allem auch das Phänomen der optischen Vereinheitlichung. Viele Innenstädte ähneln sich frappierend, überall sieht man die gleichen Möblierungen im öffentlichen Raum, die gleiche Architektur bei Neubauten, die gleichen Schaufenster und die gleichen Schriftzüge.

WDR.de: Wie ist dieses Phänomen zu erklären?

Kötter: Das hat mit der Entwicklung des Einzelhandels zu tun. In den vergangenen Jahrzehnten entstanden Konkurrenzangebote, die dazu führten, dass Käuferströme aus den Innenstädten abgezogen wurden. Zuerst wuchsen vor den Städten auf der grünen Wiese die Einkaufszentren aus dem Boden, später kamen dann die Malls in den innenstadtnahen Vororten. Die Folge: Die Kunden mussten nicht mehr mehrere Geschäfte anfahren, um ihren Grundbedarf zu decken, sondern machten alle wichtigen Besorgungen auf einmal. In den Innenstädten führte das zu einem so genannten Trading-Down-Effekt, also der Qualitätsabnahme des Angebots. Vor allem Billigshops und -ketten eröffneten ihre Filialen dicht an dicht.

WDR.de: Ist es nicht seltsam, wenn der Städtetag jetzt vor einer solchen Verödung warnt? Sind die Kommunen nicht selbst verantwortlich für diesen Zustand?

Kötter: Natürlich, das sind oft hausgemachte Probleme. Aus kommunaler Sicht haben die Verantwortlichen in erster Linie danach geschaut, welche Projekte sich in möglichst kurzer Zeit verwirklichen lassen, um Steuereinnahmen und die Arbeitsplatzzahl zu erhöhen. Ein schlüssiges Konzept für die Innenstadtgestaltung ist ein langwieriger Prozess, weil beispielsweise die Grundstücke kleinteilig, die Eigentumsverhältnisse dadurch unübersichtlich und Planungsprozesse viel komplizierter sind. Eine Einzelhandelsansiedlung außerhalb der Innenstadt lässt sich hingegen verhältnismäßig schnell realisieren. Am besten innerhalb einer Wahlperiode, damit man den Wählern sichtbare Erfolge liefern kann.

WDR.de: Was können die Städte jetzt noch tun, um den Trend der Verödung zu stoppen?

Kötter: In erster Linie müssen sie sich um die Gestaltung des öffentlichen Raumes kümmern, also das hervorheben und aufwerten, was die Identität ihrer Stadt ausmacht. In vielen Städten wissen die Politiker überhaupt nicht, mit was für einem bauhistorischen Erbe sie eigentlich wuchern könnten. Bonn hat in die Restaurierung der Fußgängerzone beispielsweise viel investiert und sie dadurch für den Kundenverkehr und in der Folge auch für private Modernisierungen der Gebäude attraktiver gemacht.

WDR.de: Gibt es in NRW Kommunen, die von vornherein auf eine langfristige Innenstadtgestaltung gesetzt haben?

Kötter: Ja, ein gutes Beispiel ist Bocholt. Die Stadt, vor allem ihr Zentrum, war geprägt von der Textilindustrie. Irgendwann hat die Stadtspitze die brach gefallenen Betriebsflächen systematisch aufgekauft und ein schlüssiges Konzept für den großflächigen Einzelhandel in der Innenstadt erstellt. Das war ein bewusster Entschluss gegen die Mall auf der grünen Wiese.

Das Interview führte Sven Gantzkow.