Die Angeklagten sitzen mit ihren Anwälten auf der Anklagebank im Landgericht Detmold.

Prozess um getötete Arzu Ö.

Geschwister zu langen Haftstrafen verurteilt

Stand: 16.05.2012, 16:18 Uhr

Im Prozess um die Ermordung einer Kurdin sind vor dem Landgericht Detmold die Urteile gefallen. Ein Bruder der entführten und getöteten Kurdin wurde zu lebenslanger Haft, vier weitere an der Tat beteiligte Geschwister zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Das Landgericht Detmold hat die Geschwister der Kurdin wegen Geiselnahme und Ermordung der 18-Jährigen zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Richter verhängten am Mittwoch (16.05.2012) gegen den Todesschützen lebenslange Haft wegen Mordes und Geiselnahme. Zwei Brüder wurden wegen Geiselnahme beide zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die außerdem an der Tat beteiligten beiden Geschwister wurden wegen Beihilfe zum Mord und Geiselnahme zu je zehn Jahren verurteilt.

Geständnis zum Prozessauftakt

Der 22-Jährige hatte beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Detmold zugegeben, dass er seine 18-jährige Schwester im November 2011 auf dem Weg nach Lübeck in einem Waldstück mit einer Waffe erschossen habe. Er sei "außer Kontrolle geraten" und habe seine Schwester getötet, weil sie sowohl ihn als auch seine Eltern beleidigt habe. Das Opfer, das er und weitere vier Geschwister zuvor gemeinsam in Detmold verschleppt haben sollen, habe ihn beschimpft und provoziert, hatte er beim Prozessauftakt gesagt.

Oberstaatsanwalt Ralf Vetter ging in seinem Plädoyer davon aus, dass die junge Kurdin sterben musste, um die "vermeintlich verletzte Familienehre wiederherzustellen". Die jesidische Familie habe die Beziehung der Tochter zu einem jungen Mann nicht tolerieren wollen, da dieser nicht jesidischen Glaubens war.

Entführt aus der Wohnung des Freundes

Die fünf Geschwister sollen der 18-Jährigen am 1. November 2011 aufgelauert haben und sie aus der Wohnung ihres Freundes entführt haben. Laut Staatsanwaltschaft sollen sie den 21-jährigen Freund mit einer Schusswaffe bedroht und ihm einen Finger gebrochen haben. Anschließend sollen drei der Geschwister mit dem Opfer Richtung Hamburg gefahren sein, um einen Onkel zu besuchen. Ihr Plan sei es gewesen, die Schwester dort abzuliefern. Doch der Onkel war den Angaben zufolge nicht zu Hause. Also entschloss man sich, Verwandte in Lübeck aufzusuchen. Bei einer Pause im Wald soll die Situation eskaliert sein. Der 22-Jährige soll im Streit auf seine Schwester geschossen haben, sie starb durch zwei Kopfschüsse. Nach der Tötung wurde die Leiche an einem Golfplatz nahe Lübeck abgelegt, wo sie Mitte Januar entdeckt wurde.

Ermittlungen auch gegen Vater von Arzu Ö.

Neben den angeklagten Geschwistern gilt auch der Vater des Opfers als tatverdächtig. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn als möglichen Anstifter. Für eine Anklage reichen die Beweise aber derzeit nicht aus. Laut Gerichtssprecher wird er im laufenden Verfahren von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.

Opfer soll mehrfach eingesperrt und verprügelt worden sein

In der Familie soll es bereits vorher mehrmals zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Opfer, ihren Eltern und ihren Geschwistern gekommen sein. Dabei soll die 18-Jährige von ihrer Familie immer wieder eingesperrt und verprügelt worden sein. Kurz vor der Tat flüchtete sie in ein Frauenhaus, legte sich einen neuen Namen und ein neues Aussehen zu. Ihre Familie soll für sie schon einen Flug in die Türkei gebucht haben. Dort sollte sie zwangsverheiratet oder von ihren Brüdern umgebracht werden, hatte sie ihrer Anwältin gesagt.

Experte erklärt Heiratsregeln

Im Prozess hatte ein Psychologe beschrieben, gegen welche Regeln die 18-Jährige aus Sicht der jesidischen Familie verstoßen habe. So erlaube der jesidische Glaube nur Beziehungen zu Jesiden, sagte der Freiburger Psychologe Jan Kizilhan am Montag (14.05.12) im Landgericht Detmold. Zudem seien sexuelle Normen vorgegeben. Frauen müssten als Jungfrau in die Ehe gehen. Andernfalls sei die Ehre des Vaters und der Familie beschädigt. Familie sei von absoluter Bedeutung, so Kizilhan. Sie stehe über dem Individuum. Oberhaupt sei der Vater. Ein Angriff auf ein Familienmitglied sei ein Angriff auf die ganze Familie. Zum Jesidentum gehöre die Heiratsregel.

In Deutschland lebten Jesiden seit den 1960er Jahren, derzeit seien es etwa 60.000, sagte Kizilhan. Die erste Generation betreibe oft Problemlösung nach traditionellen Mustern. Die nachfolgenden Generationen lebten "in zwei Welten", sagte der Psychologe und sprach von einer verlorenen Generation. Ein psychiatrischer Gutachter hat alle Angeklagten für voll schuldfähig befunden.

Großes Interesse der Öffentlichkeit

Das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien an diesem Prozess war groß. Denn die Entführung und der Tod der jungen Kurdin sorgten nicht nur in ihrem Heimatdorf Remmighausen bei Detmold, sondern in ganz Deutschland für Bestürzung, Trauer und Empörung. Den Tod der 18-Jährigen nahmen Frauenrechtlerinnen zum Anlass, vor dem Gericht gegen sogenannte Ehrenmorde zu protestieren.

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