Nach dem Zweiten Weltkrieg gilt in der Bundesrepublik immer noch das Familienrecht aus der Kaiserzeit: Der Mann bestimmt in der Familie über alles. Er kann frei über das Vermögen seiner Frau verfügen. Er hat das letzte Wort bei Erziehung und Sorgerecht. Und er kann seiner Frau sogar den Wohnungsschlüssel abnehmen. Die Frau hingegen hat den Haushalt zu leiten - viel mehr wird ihr nicht zugestanden: In den 1950er Jahren darf eine Ehefrau nicht einmal ein Konto eröffnen.
Das im Mai 1949 beschlossene Grundgesetz sieht jedoch etwas anderes vor. Dafür hatte im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz ausgearbeitet hatte, die SPD-Politikerin Elisabeth Selbert gesorgt: "Ich hatte beantragt, den Artikel drei so zu formulieren: 'Männer und Frauen sind gleichberechtigt' - ganz kurz und bündig." Auch wenn viele der 61 Männer des Gremiums Vorbehalte hatten, wurde der Vorschlag damals einstimmig angenommen. Die Folge: "Dem neuen kommenden Bundestag wird die Verpflichtung auferlegt, bis zum Jahre 1953 - früher ist eine solche gesetzgeberische Reform nicht zu machen - die Gleichstellung der Frau zu verwirklichen und alle entgegenstehenden Bestimmungen aufzuheben", so Selbert in ihrer Rundfunkansprache vom 19. Januar 1949.
"Durch göttliche Autorität festgesetzt"
Die CDU-geführte Bundesregierung macht sich an die Arbeit. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) holt sich für den Gesetzesentwurf von der Bonner Richterin Maria Hagemeyer weiblichen Rat. Die Frau soll deutlich mehr Rechte bekommen. Unter anderem sollen Ehefrauen entscheiden können, ob sie arbeiten gehen. Dennoch versucht Adenauer, ein traditionelles Familienbild zu bewahren: "Der Vater ist nach unserer christlichen Auffassung das Haupt der Familie, aber die Mutter ist das Herz der Familie." Deshalb solle alles getan werden, um die Frau für ihre "höchste und schönste Aufgabe" zu erhalten.
Als der Gesetzesentwurf im Bundestag diskutiert wird, meldet die katholische Kirche allerdings schwere Bedenken an: "Die Ordnung der Hausgemeinschaft muss unangetastet bleiben", fordert die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem Hirtenbrief vom 6. Februar 1953. "Da sie durch eine höhere als menschliche, nämlich die göttliche Autorität und Weisheit festgesetzt ist und darum keiner Änderung durch Staatsgesetze unterliegen kann." Innerhalb der Ehe seien Mann und Frau zwar gleichberechtigt, in Fragen der "äußeren Gestaltung" des Zusammenlebens hingegen nicht: "Hier kommt gemäß der natürlichen Ordnung die Verantwortung für die Entscheidung dem Manne und Vater zu."
"Letztentscheidungsrecht" wird gekippt
Die Bischöfe um den Kölner Erzbischof, Kardinal Josef Frings, sind jedoch nicht gegen jede Liberalisierung des Familienrechts. Bei einer Scheidung soll der Unterhalt der Frau verbessert werden. Konflikte sollen beide Gatten zusammen lösen - gelingt das aber nicht, soll am Ende der Mann entscheiden. "Wir sind überzeugt, dass hiermit auch dem Willen des weitaus größten Teiles aller Frauen in Deutschland entsprochen würde", so die Bischöfe. Doch das trifft nicht zu. Nicht nur linke Frauengruppen protestieren, selbst CDU-Frauen sind dagegen. Auch der Katholische Frauenbund ist gespalten. Nach zähen Auseinandersetzungen im Kabinett soll - trotz der vorgesehenen Änderungen - ein Grundsatz nicht infrage gestellt werden: Im Konfliktfall soll weiterhin der Mann das letzte Wort haben.
Durch die langen Debatten verstreicht die vorgegebene Frist: Nach 1953 gibt es in der Bundesrepublik zunächst kein gültiges Familienrecht. Als dann 1957 ein Gleichstellungsgesetz in Kraft tritt, ist das sogenannte Letztentscheidungsrecht abgeschafft - nur nicht bei der Kindererziehung und dem Sorgerecht. Zwei Jahre später kippt das Bundesverfassungsgericht jedoch auch diese Ausnahmen.
Stand: 06.02.2013
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