Stichtag

5. Juni 1612 - Hamburg startet die erste deutsche Staatslotterie

Die Bürger der freien Hansestadt Hamburg plagt Anfang des 17. Jahrhunderts ein unübersehbares Problem. Der Wohlstand der Hamburger lockt stetig neue Zuwanderer an, darunter Gauner und Vagabunden, die an allen Ecken neben bettelnden Krüppeln und Greisen herumlungern. Vor allem die reichen Reeder und Kaufleute wollen das Gesindel von den Straßen verbannen, am besten hinter die Mauern eines "Werck- und Zuchthauses" - aber natürlich nicht auf Kosten der betuchten "Pfeffersäcke".

Die Idee zu einer solchen Anstalt leuchtet der Bürgerschaft ein, doch der Bau verschlänge viel Geld und die öffentlichen Kassen sind leer. So beschließt der Rat des Stadtstaats im November 1611 auf Vorschlag einiger Mitglieder eine für deutsche Obrigkeiten völlig neue Finanzierungsmethode: Eine Lotterie soll die Kosten für das Gebäude - halb Asyl, halb Arbeitshaus - in den Stadtsäckel spülen.

Gewinne vom Hausrat bis zur Sofortrente

Historischen Quellen zufolge wurden Glücksspiele mit Losen, kurz Lotto genannt, seit dem Spätmittelalter veranstaltet, etwa in Brügge und in London. 1575 wird es unter dem Namen "Lotto di Genova" populär, als der Senat von Genua fünf neue Ratsherren durch Ziehung von Namens-Losen aus einem Topf mit 90 Bewerbern ermittelt. Ein cleverer Genueser entwickelt daraus das System "5 aus 90". Wer vorher auf die richtigen Namen getippt hat, kann einen Gewinn einstreichen. Genuas Obrigkeit verbietet kurz darauf das private Lotto - nur um es anschließend selbst zu betreiben und zu kassieren.

Es dauert nicht lange, bis Herrscher in ganz Italien das Spiel "5 aus 90" als lukrative Einnahmequelle veranstalten. In Hamburg eröffnet am 5. Juni 1612 ein amtlich vereidigter "Lottenschreiber" die erste staatliche Lotterie auf deutschem Boden. Für den Verkauf der Lose wird mit viel Tamtam geworben. Auf einem reich illustrierten Plan werden viele der über 20.000 möglichen Gewinne abgebildet, darunter Hausrat, Silberpokale und natürlich Bargeld bis zu 500 Lübischen Mark - selbst für Bürger damals ein beachtlicher Betrag. Auch "stetswährende" Renten, heute als Sofortrenten wieder begehrt, gibt es zu gewinnen.

Lotto in Preußen dank Casanova

Nach 26 Monaten sind endlich alle Lose, beschriftet mit dem Namen des Käufers, verkauft. Die mit Spannung erwartete und als Spektakel inszenierte Ziehung beginnt am 8. August 1614. Als Glücksfeen ermitteln Waisenkinder 57 Tage und Nächte lang ohne Unterbrechung die glücklichen Gewinner. Vier Notare und 14 Beisitzer überwachen in Wechselschichten den ordnungsgemäßen Verlauf. Am Ende erweist sich Hamburgs erste Staatslotterie als voller Erfolg. Im folgenden Jahr beginnt die Stadt an der Binnenalster mit der Errichtung des "Werck- und Zuchthauses", das 1616 für Baukosten in Höhe von 70.000 Mark vollendet wird.

Nach der gelungenen Premiere startet Hamburg bald die nächste Lotterie, diesmal zugunsten des Verteidigungsetats. Der Erfolg der Hanseaten macht schnell Schule unter Deutschlands Fürsten, die den ausbrechenden Lottorausch nur zu gern nutzen, um ihre Schatullen zu füllen. Selbst Friedrich der Große, nach etlichen Kriegen nahezu bankrott, lässt sich vom Abenteurer Giacomo Casanova überzeugen, Preußens Staatskasse durch das Lotto di Genova zu sanieren.

Unterstützung gegen empörte Kritiker, meist aus Kirchenkreisen, erhält der König sogar von Georg Christoph Lichtenberg. Bei der Lotterie verspiele man nur 14 Pfennig am Tag, hält der große Universalgelehrte den Moralisten entgegen. "Soviel verschnapsen manche Menschen täglich. Wer sich also gewöhnt, lieber Hoffnung zu schnapsen, dem wollt ich auf alle Fälle raten, in der Lotterie zu setzen."

Stand: 05.06.2012

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 5. Juni 2012 ebenfalls an die erste deutsche Staatslotterie. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.