Stichtag

17. Januar 1912 - Grundlage für Organverpflanzungen entdeckt

Nach einer fünfstündigen Operation ist "das Wunder von Kapstadt" perfekt: Als erstem Chirurgen gelingt Christiaan Barnard 1967 in Südafrika die Verpflanzung eines menschlichen Herzens. Ein Meilenstein der Humanmedizin, der ohne die Pionierarbeit eines französischen Arztes nicht möglich gewesen wäre. 55 Jahre vor Barnards Triumph schafft der Biologe und Chirurg Alexis Carrel mit einem Tier-Experiment die Grundlage zur Organtransplantation, der seither unzählige todkranke Menschen ihr Weiterleben verdanken.

Der 1873 in Lyon geborene Kaufmannssohn promoviert mit 27 Jahren zum Doktor der Medizin. Als Dozent für Anatomie und Chirurgie formuliert Alexis Carrel 1901 sein hochgestecktes Forschungsziel: "Ich habe begonnen, mich mit Gefäßverbindungen zu beschäftigen, um Organe verpflanzen zu können." Am Krankenhaus von Lyon und ab 1904 in Chicago und New York, entwickelt Carrel zunächst eine Methode, verletzte Blutgefäße zu flicken und zu konservieren, um sie später bei einer Operation verwenden zu können.

Verleihung des Medizin-Nobelpreises

Dieses Verfahren ermöglicht es, Blutgefäße im Körper eines Organempfängers erfolgreich wieder an den Blutkreislauf anzuschließen. Der entscheidende Durchbruch auf dem Weg zu einer erfolgreichen Transplantation von Nieren, Lebern und Herzen gelingt Alexis Carrel am 17. Januar 1912. Er entfernt die Hülle eines fast ausgebrüteten Hühnereis, entnimmt dem Herzen des Embryos einige Zellen und gibt sie in eine Nährlösung.

Nach bangen Stunden des Wartens erweist sich das Experiment als Erfolg: Die ihres natürlichen Lebensraums beraubten Herzzellen sterben nicht ab, sondern leben in der Nährlösung weiter. In "Anerkennung seiner Arbeiten über die Gefäßnaht sowie über Gefäß- und Organtransplantationen", wird Carrel Ende des Jahres 1912 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Während des Ersten Weltkriegs perfektioniert er als Lazarettchirurg im Dienste der französischen Armee seine gefäßchirurgischen Methoden.

Plädoyer für die Gaskammer

Mit technischer Unterstützung des Atlantik-Fliegers Charles Lindbergh entwickelt Carrel zu Beginn der 30er Jahre eine Maschine, die die Sauerstoffversorgung entnommener Organe in steriler Umgebung sicherstellt. 1935 veröffentlicht der inzwischen weltberühmte Chirurg sein Hauptwerk "L'homme inconnu" – "Der Mensch, das unbekannte Wesen". In dem millionenfach verkauften Buch zieht Carrel eine Generalbilanz zum Wissensstand über das Forschungsobjekt Mensch.

Der Bestseller entlarvt den Nobelpreis-geehrten Transplantationspionier aber auch als überzeugten Rassisten. Ausführlich räsonniert Carrel über die "Schwäche unserer Zivilisation", die Bedrohung der weißen Rasse durch eine "ungeheure Masse an Schwachsinnigen und Kriminellen" und lobt die Euthanasie-Ideologie der deutschen Nationalsozialisten. Detailliert plädiert er dafür, "die Vermehrung der Minderwertigen, Geisteskranken und Verbrecherischen" zu verhindern - durch Sterilisation und Tötung in Anstalten, "wo es die geeigneten Gase gibt".

Das Ansehen des Chirurgen in der Medizin-Welt erleidet durch die rassistischen Tiraden keinen Schaden. 1939 übernimmt Carrel einen hohen Posten im Gesundheitsministerium der französischen Vichy-Regierung; als Direktor einer nach ihm benannten "Stiftung zum Studium menschlicher Probleme" beschließt er seine Karriere. Am 5. November 1944 stirbt Alexis Carrel 71-jährig in Paris. Die 1912 von ihm extrahierten Herzzellen eines Hühnerembryos sollen ihn angeblich um zwei Jahre überlebt haben.

Stand: 17.01.2012

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