Stichtag

29. Januar 1972 - Fernsehsendung "Ein Kessel Buntes" erstmals ausgestrahlt

Im Mai 1971 kommt es in der DDR zu einem Machtwechsel: Erich Honecker löst Walter Ulbricht als SED-Generalsekretär ab. Der neue starke Mann setzt eigene politische Akzente - auch in der Medienpolitik. Auf dem achten Parteitag der SED im Juni 1971 kritisiert Honecker das DDR-Fernsehen: Der Deutsche Fernsehfunk (DFF) werde durch "eine gewisse Langeweile" charakterisiert, die es abzustellen gelte.

Eine Unterhaltungsoffensive wird in Gang gesetzt. Ein attraktiveres Programm soll die DDR-Bürger davon abhalten, West-Fernsehen zu konsumieren. "Es ging darum, eine große Samstagabend-Musikshow zu entwickeln", erinnert sich Chefdramaturgin Evelin Matt. "Nach Möglichkeit ein bisschen kess, ein bisschen weltoffen, ein bisschen modern, ein bisschen flott." Zusammen mit ihren Kollegen arbeitet sie damals ein Sendekonzept mit dem Titel "Ein Kessel Buntes" aus. Die Sendung richtet sich an fast alle Altersgruppen und bietet eine Mischung aus Fernsehballett, DDR-Lieblingen wie Frank Schöbel und West-Stars wie Abba. Dabei besteht die Gage der ausländischen Künstler nicht nur aus DDR-Mark, sondern auch aus D-Mark. "Wir hatten auch einen kleinen Valuta-Fonds, sodass man sich bestimmte Engagements auch leisten konnte", sagt Matt.

Zunächst am DDR-Alltag orientiert...

"Ein Kessel Buntes" wird am 29. Januar 1972 zum ersten Mal ausgestrahlt. Durch die Live-Sendung führen zunächst drei Kabarettisten, die "Dialektiker": Horst Köbbert moderiert auf Plattdeutsch, Lutz Stückrath berlinert und Manfred Uhlig spricht Sächsisch. Ihre satirischen Einlagen präsentieren sie vor einer übergroßen Waschmaschine, die symbolisch für "einen Kessel Buntwäsche waschen" steht.

Das Konzept geht auf: "Wenn der Zuschauer die Wahl hatte zwischen einer guten Unterhaltungssendung im Westen und einer im eigenen Fernsehen", das hat die Medienwissenschaftlerin Claudia Dittmar erforscht, "hat er sich sehr oft für das DDR-Programm entschieden." Der Grund: "Ein Kessel Buntes" ist näher an der ostdeutschen Realität - etwa bei den Gags: "Vor 15 Jahren wollten sie mich wegen meiner Niethosen aus der FDJ schmeißen und jetzt sorgt mein ehemaliger FDJ-Chef dafür, dass die Dinger im Handel sind."

... dann zensiert

Manchmal ist die Moderation den Verantwortlichen allerdings zu nah an der DDR-Realität. Als die "Dialektiker" in der siebten Sendung die schlechte Qualität im Wohnungsbau kritisieren, wirft ihnen das SED-Organ "Neues Deutschland" im Januar 1973 politische Prinzipienlosigkeit vor. Daraufhin nimmt die Programmeinmischung zu: "Die Politik wurde rausgenommen aus unseren Moderationen", sagt Stückrath rückblickend. 1977 werden die "Dialektiker" durch wechselnde Moderatoren ersetzt.

Der 100. Sendung am 23. September 1989 - kurz vor dem Mauerfall - ist zugleich die letzte unter DDR-Verhältnissen. Noch einmal greift die Zensur durch. In der üblichen ersten Wiederholung am Sonntagnachmittag fehlt neben Schöbels populärem Song "Wir brauchen keinen Lügen mehr" auch die Bemerkung der Moderatoren Helga Hahnemann und Gunther Emmerlich, sie seien nicht die einzigen Fehlbesetzungen im Land. Nach der Wende wird die Sendung von der ARD übernommen. Bis zu ihrer Einstellung 1992 wird sie von Karsten Speck moderiert.

Stand: 29.01.2012

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