Stichtag

28. Dezember 2009 - Vor 160 Jahren: Jolly-Bellin "erfindet" die chemische Reinigung

Jean-Baptiste Jolly-Bellin ist ein ungeschickter Glückspilz. Will man der Legende glauben, dann stößt der Färber im Winter des Jahres 1849 eine Spirituslampe um, deren Inhalt sich auf ein frisch gewaschenes Tischtuch ergießt. Jolly-Bellin bemerkt, dass die getränkten Stellen sauberer als der Rest geworden sind – und schlägt Kapital daraus.Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts nutzt er die Entdeckung und bietet seinen Kunden nach weiteren Versuchen in seinem Schneidergeschäft in Paris das Verfahren als "Nettoyage à sec", als "Trockenreinigung", an. Hierzu zerlegt er die Kleidungsstücke und legt sie zweimal in eine Schale mit Terpentinöl, bevor er sie wieder zusammengenäht. Als "französische Wäsche" überschreitet das Verfahren bald die Grenzen Frankreichs. In Deutschland bietet die Firma des Seidenfärbers Wilhelm Spindler um 1870 die "Trockenreinigung" erstmals an. Begeisterte Kunden schicken ihre Kimonos sogar aus Japan.

Eigentlich wäscht die "chemische Reinigung" Flecken nur durch ein Lösungsmittel, also ohne chemische Reaktion, aus dem Kleiderstoff heraus. Auch erfindet Jean-Baptiste Jolly-Bellin sie nicht wirklich. Schon 100 Jahre früher wissen Saubermänner und Sauberfrauen um die Kraft des Terpentinöls. Damals aber ist das Mittel noch zu teuer, um es für schmutzige Geschäfte zu nutzen.Ohnehin ist die Reinigungsindustrie stetig auf der Suche nach neuen Fleckenlösern. Nach Terpentinöl kommt Benzol an die Reihe, dessen gesundheitsschädigende Wirkung schnell erkannt wird. Danach setzt man auf Benzin, weshalb in den Reinigungsbetrieben jedes Jahr mehrere Menschen bei Explosionen ums Leben kommen. Heute kommt unter Zuhilfenahme von Dampf, Luft und Wasser vor allem Perchlorethylen zum Einsatz, das sich in den 50er Jahren durchsetzt und besonders gut das Fettige aus der Kleidung zieht.

Die ersten Maschinen für "chemischen Reinigungen" sind noch plumpe Holzwannen von bis zu 70 Litern Fassungsvermögen, deren Trommeln per Handkurbel gedreht werden müssen. Ende der 60er Jahre, als die Sofortreinigungsbranche boomt, werden moderne Schrankmaschinen direkt im Laden oder gar im Schaufenster aufgestellt, um Kunden den Schmutz aus der Wäsche und das Geld aus der Tasche zu ziehen. Heute nennen sich die meisten Reinigungen dieser Art nur noch "Textilreinigung": Die Chemie hat einfach einen viel zu unsauberen Ruf.

Stand: 28.12.09