Arno Funke bei Pressekonferenz zur Haftentlassung / 14.08.2000

13. Juni 1992 - "Dagobert" – Ein Unbekannter erpresst Karstadt

Stand: 13.06.2017, 00:00 Uhr

In einer Mainacht 1988 geht im Berliner Kaufhaus KaDeWe eine Bombe hoch. Es gibt keine Verletzten, doch die Detonation verursacht Schäden in Höhe einer Viertelmillion D-Mark. Gelegt hat den Sprengkörper ein unbekannter Erpresser, der seiner Forderung von 500.000 Mark Nachdruck verleihen will – mit Erfolg: Das Kaufhaus zahlt die verlangte Summe.

Vier Jahre lang lebt der unerkannt entkomme Erpresser von seiner Beute. Als ihm das Geld ausgeht, beschließt er, den Coup eine Nummer größer zu wiederholen. Sein neues Opfer ist der Kaufhaus-Konzern Karstadt, von dem er erst eine Million und dann sogar 1,4 Millionen Mark fordert. Damit beginnt der längste und aufwändigste Erpressungsfall der deutschen Kriminalgeschichte.

"Dagobert" erpresst Kaufhaus (am 13.06.1992)

WDR 2 Stichtag 13.06.2017 04:16 Min. Verfügbar bis 11.06.2027 WDR 2


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Bomben verursachen immens hohe Sachschäden

Die erste Rohrbombe lässt Arno Funke in der Nacht zum 13. Juni 1992 in einem Hamburger Karstadt-Haus explodieren. Per Zeitungsinserat, so plant der 42-jährige Berliner, soll der Konzern seine Zahlungsbereitschaft bekanntgeben. Ein Bild der geizigen Disney-Ente "Onkel Dagobert" auf einem Turnbeutel bringt Funke auf die Idee für den Mitteilungstext: "Dagobert grüßt seine Neffen". Eine Steilvorlage für die Medien, die dem anonymen Kaufhauserpresser in den folgenden Monaten als "Dagobert" zu bundesweiter Berühmtheit verhelfen.

Bis Dezember 1993 verübt "Dagobert" fünf weitere Bombenanschläge auf Karstadt-Filialen in Bremen, Hannover, Magdeburg, Bielefeld und Berlin. Dank der umsichtigen Planung des Täters und dessen Elektronik-Kenntnisse wird dabei nur ein Mensch leicht verletzt. Die Sachschäden aber sind beträchtlich. Allein in Bremen verursacht die durch einen Brandsatz aktivierte Sprinkleranlage Wasserschäden von rund sechs Millionen Mark.

Außer Papierschnipseln nur 4.000 Mark Beute

Monatelang ergötzen sich die Boulevard-Medien an einer trickreichen Serie von versuchten und geplatzten Geldübergaben. Ein ums andere Mal müssen sich die Fahnder vorführen lassen, wenn ihnen der fantasie- und bastelbegabte Erpresser wieder entwischt ist. "Dagobert, schlauer als die Polizei erlaubt", heißt es in den Schlagzeilen. Mehr als 60 Prozent der Deutschen, so ermittelt die ARD, amüsieren sich prächtig über die Krimi-Posse und zeigen Sympathie für den cleveren Kriminellen.

Insgesamt 30 Versuche unternimmt Arno Funke, um seine Beute kassieren zu können – unter anderem mit einer magnetischen Geldtasche an einem Zug, durch einen getarnten Schacht unter einer Streusandkiste oder mittels einer selbstgebastelten kleinen Schienenlore. Doch statt der erhofften Million hält Funke alias "Dagobert" am Ende nur 4.000 Mark und Berge von Papierschnipsel in Händen. Seine Anweisungen für die Geldübergaben übermittelt er brieflich oder mit verzerrter Stimme von Telefonzellen aus, jeweils zu einem vorher festgesetzten Zeitpunkt. Genau das wird dem sonst so gewieften Täter zum Verhängnis.

Mildernde Umstände wegen Gehirnschädigung

Arno Funke (links) 2007 mit Ex-MEK Chef Martin Textor

Arno Funke (links) 2007 mit seinem "Jäger" Martin Textor

Mehrfach bereits hat Martin Textor, Chef der Berliner "Dagobert"-Jäger, Hunderte von Telefonzellen observieren und Tausende öffentliche Anschlüsse abhören lassen. Vergeblich, der unbekannte Erpresser bleibt ein Phantom. Am 20. April 1994 jedoch können Beamte den schnauzbärtigen Arno Funke endlich als Verdächtigen identifizieren. Zwei Tage später sind alle Zweifel ausgeräumt: Funke ist der Gesuchte! Als Zivilfahnder den 44-Jährigen stellen und in Handschellen legen, gibt Funke sofort zu: "Ja, ich bin Dagobert."

Wegen räuberischer Erpressung, versuchter Brandstiftung und Sprengstoffanschlägen wird Arno Funke in zweiter Instanz zu neun Jahren Haft verurteilt. Dem Karstadt-Konzern muss er Schadenersatz in Höhe von 2,5 Millionen Mark zahlen. Zu Gunsten des hoch intelligenten Täters wertet das Gericht, dass Funke bei einer früheren Tätigkeit als Autolackierer durch giftige Dämpfe gehirnorganische Schäden mit psychischen Folgen erlitten hat. Nach sechs Jahren und vier Monaten Gefängnis wird Arno Funke im August 2000 wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Sein Geld verdient Deutschlands bekanntester Krimineller seither als Grafiker eines Satiremagazins, Autor und Cartoon-Zeichner sowie als Promi-Gast in diversen TV-Shows.

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