Buchcover: "Unsereins" von Inger-Maria Mahlke

Lesefrüchte

"Unsereins" von Inger-Maria Mahlke

Stand: 19.01.2024, 13:48 Uhr

Inger-Maria Mahlke nimmt uns mit ins Lübeck zur Zeit des jungen Thomas Mann. Ein grandioses Porträt der hanseatischen Stadtgesellschaft aus dem Blickwinkel der Gegenwart.

Der Wind pfeift durch die Gassen der Hansestadt. Ganz nah kommt die Erzählinstanz an die Bewohner Lübecks heran. Als filmte man das Geschehen mit einer Drohne oder aus der Perspektive eines Regentropfens, der an diesem kalten Januarmorgen im Jahre 1890 auf Lübeck fällt.

Im Haus der Familie Lindhorst muss Dienstmädchen Ida auf Befehl der launischen Hausherrin den Boden bohnern. Diese erwartet ihr achtes Kind. Rechtsanwalt Lindhorst sorgt sich um seine Aufstiegschancen im Senat. Immer wieder lassen die Konkurrenten die Familie spüren, dass sie auch jüdische Vorfahren hat.

Ratsdiener Isenhagen interessiert sich für seine Nachbarin. Hausdiener Charlie, der heiratswillige Frauen aus dem Bürgertum an den richtigen Mann bringt, muss wegen seiner Homosexualität ins Gefängnis. Locker nimmt der Roman Bezug zu Thomas Mann und den Buddenbrooks. Ein gewisser Tomy Mann geht mit den Söhnen der Lindhorsts zur Schule.

Bewusst aber erweitert Ingrid-Maria Mahlke das bürgerliche Figurenspektrum. Ob aus der Perspektive von Dienstmädchen Ida, einem sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, oder einer mittellosen Frau: Über eine Strecke von 16 Jahren erleben wir den Alltag und das Selbstverständnis der Bewohner der Hansestadt aus dem Innenleben der Figuren heraus.

Mahlke erzählt von existenziellen Sorgen, Ausgrenzung in der Klassengesellschaft, von Normen und deren Unterwanderung. So entsteht ein grandioses Porträt einer diversen Stadtgesellschaft, die große Umbrüche erlebt. Souverän findet Inger-Maria Mahlke die passende Sprache, um das Leben zum Fin de Siècle literarisch darzustellen.

Eine Rezension von Mareike Ilsemann

Literaturangaben:
Inger-Maria Mahlke: Unsereins
Rowohlt Verlag, 2023
496 Seiten, 26 Euro