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Buchcover: "Auf den Gleisen" von Inga Machel

Lesefrüchte

"Auf den Gleisen" von Inga Machel

Stand: 02.02.2024, 14:19 Uhr

Ein dringliches, kreatives Buch über Trauer, Mangel und Schmerz, das diese Themen unkonventionell und drastisch verhandelt. Unter Verwendung kryptischer und absurder Elemente dringt Inga Machel in Bereiche des schwer Greifbaren vor und kehrt mit allgemeingültigen Erkenntnissen zurück.

Hauptfigur und Ich-Erzähler Mario trauert bereits seit einiger Zeit um seinen Vater. Dieser hatte sich infolge einer Depression vor einen Zug geworfen, daher vermutlich auch der Buchtitel. Marios Vater war ein ostdeutscher Jedermann. Er arbeitete als Laborant, war verheiratet, beliebt und hatte zwei Söhne – Mario und Jon.

Doch hinter der stimmigen Fassade steckte ein rätselhafter, überforderter und unglücklicher Mensch. Die Vater-Sohn-Beziehung ist daher eine emotionale Einbahnstraße. Marios Rückblicke auf seine dörfliche Jugend wechseln sich ab mit der Gegenwart in Berlin. Hier pflegt er einen unsteten, ausschweifenden Lebenswandel.

Ausgerechnet in dem Heroinsüchtigen P. erblickt er eine Art Wiedergänger seines Vaters. Und Mario kann nicht loslassen, seinen Vater quasi ein zweites Mal verlieren. Also folgt er P. kreuz und quer durch den Großstadtdschungel. Obsessiv, zugleich ruhig, fast wissenschaftlich. Bis in die intimsten Momente hinein. Nach ein paar Monaten verschwindet P. plötzlich wieder aus Marios Leben.

Aber eine durch den Umgang mit dem Junkie angestoßene Reflexion bringt Mario schließlich in die Nähe einer Art von Erlösung. Einer Befreiung von den Lasten der Vergangenheit.

"Auf den Gleisen" überzeugt mit einem frischen Sound. Unvermittelt, überraschend, kantig, zugleich filigran und zärtlich. Einfache, klare Sätze treffen auf überlegte Wortwahl, komplexe Gefühle und eine nicht erlernbare Lässigkeit.

Eine Rezension von Moritz Holler

Literaturangaben:
Inga Machel: Auf den Gleisen
Rowohlt Verlag, 2024
160 Seiten, 22 Euro