Live hören
WDR 5 Quarks - Wissenschaft und mehr mit Steffi Klaus
Buchcover: "Über das moderne Leben der Tiere" von Yevgenia Belorusets

Lesefrüchte

"Über das moderne Leben der Tiere" von Yevgenia Belorusets

Stand: 08.03.2024, 14:52 Uhr

Was der Mensch ist, erweist sich am Umgang mit Tieren. Auch im Krieg. Hunde als Lebensretter. Tauben als Drogenkuriere und Wahrsager. Hasen im Kaukasus. Eine magische Pferdeflüsterin. Und ringsherum Krieg. Yevgenia Belorusets porträtiert die Ukraine in Tieren.

Ein Mann, ein Sattelschlepper, ein Schneesturm. Der Mann fährt seit vielen Stunden, ohne Pause, das Licht schießt ihm wie Schrot in die Augen, er verliert die Übersicht und dann kommen die Bilder. Wahnbilder. Ein schwarzer Hund läuft plötzlich neben dem Sattelschlepper, elegant und sehr schnell. Er scheint auf den Tacho zu deuten und der Tacho zeigt 100km/h. Der der Mann hält an, der Hund ist verschwunden. Warum hat der Hund das getan?

Könnte es damit zusammenhängen, dass der Fahrer vor Jahren Straßenhunde aus Donetsk evakuiert hat, als der Krieg begann? Die kurze Geschichte über den Hund, der 100 km/h laufen kann, wenn ein guter Mensch gerettet werden muss, heißt "Kleiner Exkurs" und ist in vielem typisch für das, was Yevgenia Belorusets in "Das moderne Leben der Tiere" macht.

In den knapp fünfzig kurzen Geschichten, geht es immer um das, was Menschen mit Tieren erleben. Und was sie ihnen antun. Häufig erzählen die Menschen selbst, so wie der LKW Fahrer. Es wirkt so, als seien das Geschichten, die Belorusets bei Reisen durch ihr unglückliches Land gehört hat. Und fast immer enthalten diese Geschichten ein starkes Element des Fantastischen, Absurden oder Grotesken. Es sind keine freundlichen Feel-Good-Tier-Geschichten wie "Lassie". Viel eher schon lässt Franz Kafkas "Verwandlung" grüßen.

Zwei Frauen in einem Straflager versuchen, sich von Krähen die Zukunft weissagen zu lassen. In Perwomajsk sind die Schweine aus einer Farm ausgebrochen. Eine blinde Frau erzählt, wie sie die Sprache der Pferde erlernte. Ganz oft sind es die Tiere, die hier Moral beweisen, Wärme ausstrahlen und Güte. Nicht alle Menschen sind schlecht, aber alle Tiere sind gut.

Und immer sind irgendwo im Hintergrund der Krieg, das Elend und das Leid, das Yevgenia Belorusets seit 2014 wie keine andere beschreibt. Nicht ideologisch, nicht kämpferisch, nicht siegesgewiss oder aufrüttelnd, wie es z.B. Serhij Zhadan tut. Sondern in magischen Fragmenten, Splittern und Szenen, die leuchten und verblüffen und verwirren. Yevgenia Belorusets legt Spuren, gibt Rätsel auf und lehrt Aufmerksamkeit und Staunen. Ein fabelhaftes Buch!

Eine Rezension von Uli Hufen

Literaturangaben:
Yevgenia Belorusets: Über das moderne Leben der Tiere
Aus dem Russischen und Ukrainischen von Claudia Dathe
Matthes & Seitz, 2024
209 Seiten, 22 Euro