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Buchcover: "Aus der Tiefe" von Oscar Wilde

Lesefrüchte

"Aus der Tiefe" von Oscar Wilde

Stand: 17.11.2023, 14:27 Uhr

Oscar Wildes Brief aus dem Gefängnis an seinen Liebhaber Lord Alfred Douglas gilt als einer der schönsten und traurigsten Liebesbriefe der Weltliteratur. Jetzt liegt er in einer gründlichen Neuedition vor. Und mit neuem Titel: Aus dem ursprünglichen "De Profundis" wurde "Aus der Tiefe".

Für das Verständnis des Briefes erhellend ist, dass der Herausgeber dem eigentlichen, zwischen Januar und März 1897 verfassten Brief, mehrere andere Briefe voranstellt, die Wilde im Frühjahr des Jahres 1895, also zu Beginn seiner zweijährigen Inhaftierung wegen homosexueller "Unzucht" schrieb.

Drei davon sind glühende Liebesbriefe an Alfred Douglas. Die Verbitterung, die den eigentlichen, ebenfalls an Douglas gerichteten Brief durchzieht, erklärt sich zum großen Teil daraus, dass Douglas Wilde nie auf diese Briefe geantwortet hat. Und da er ihn überdies nie – was möglich gewesen wäre – im Zuchthaus besuchte, musste Wilde davon ausgehen, dass Douglas sich von ihm abgewandt hatte.

So gerät der Brief konsequenterweise zu einer Abrechnung mit dem oberflächlichen und verschwenderischen jungen Liebhaber. Gleichzeitig aber auch zu einer Lebensbeichte Wildes.

Das heute noch Erschütternde dieses Briefes rührt von der Ohnmacht, der Wilde sich als betrogener und verlassener Liebender ausgesetzt sieht. Aber auch von der Schönheit seiner Sprache, zu der er findet, wenn er sich die Zukunft nach dem Gefängnis ausmalt.

Eine Rezension von Peter Meisenberg

Literaturangaben:
Oscar Wilde: Aus der Tiefe

Herausgegeben und aus dem Englischen von Mirko Bonné
Mit einem Nachwort von Colm Tóibín
Hanser Verlag, 2023
368 Seiten, 38 Euro