Buchcover: "Alles haben" von Marco Missiroli

Lesefrüchte

"Alles haben" von Marco Missiroli

Stand: 08.09.2023, 11:01 Uhr

Sandro, ein vierzigjähriger Werbetexter aus Mailand, fährt zu seinem todkranken Vater nach Rimini. Beide sind wortkarg, und beide hüten ein Geheimnis. Bestsellerautor Marco Missirolis neuer, berührender Roman über eine Vater-Sohn-Beziehung.

Nando verrät dem Sohn nicht, wo er seine Nächte verbringt. Sandro ist ein Spieler und schweigt sich über seine Finanzen aus. Ihr Spiel beginnt: Vater und Sohn kontrollieren einander.

Sandro fährt dem Vater nachts hinterher. Erstaunt und erleichtert stellt er fest, dass Nando seine große Leidenschaft wiederentdeckt hat: Nacht für Nacht tanzt er im Freizeitwerk der Eisenbahner, so lange es noch geht. Er tut es so hervorragend wie einst auf den Strandbällen in Rimini mit seiner längst verstorbenen Frau Caterina.

Und Nando durchsucht Sandros Reisetasche. Er weiß, dass sein einziger Sohn ihn immer wieder bestohlen hat. Er ahnt, dass er weiterspielt, will ihm gut zureden. Aber Sandro leugnet. Und doch spürt sein sterbender Vater, wie sehr Sandro von seiner unbezähmbaren Lust, "alles haben" zu können, - so der Titel des Romans – weiterhin mit seiner Spielsucht kämpft.

Das physische Sterben des Vaters spiegelt das psychische Dahin vegetieren des Sohnes. Beide empfinden tiefe Scham: Nando, weil er ins Bett macht, Sandro, weil er immer wieder lügt und betrügt. Das alles erzählt Marco Missiroli sachlich, ohne Pathos.

Durch seinen distanzierten Berichtstil ist ihm ein berührender Roman gelungen: über eine besondere Vater-Sohn-Beziehung und über die Zerrissenheit und Einsamkeit von Spielernaturen.

Eine Rezension von Andrea Lieblang

Literaturangaben:
Marco Missiroli: Alles haben
Aus dem Italienischen von Esther Hansen
Wagenbach Verlag, 2023
176 Seiten, 20 Euro