Lesefrüchte

"Da waren Tage" von Luna Ali

Stand: 05.04.2024, 14:33 Uhr

Als der arabische Frühling 2011 Syrien erreicht und schließlich in einem Bürgerkrieg mündet, wird die Welt des Jurastudenten Aras auch hier in Deutschland auf den Kopf gestellt. 3000 Kilometer entfernt, erlebt er die Ereignisse über die sozialen Netzwerke doch hautnah mit.

Der Jurastudent Aras Halaq führt ein erfülltes Leben. Er liebt seine Freundin Rhea, ist zielstrebig, selbstbewusst, klug und engagiert sich politisch. Seit elf Jahren leben er, seine Schwester und seine Mutter in einer niedersächsischen Universitätsstadt. Sie flohen damals vor dem Assad-Regime, nachdem Aras‘ Vater als politischer Gefangener verschwand.

Die Grausamkeiten, deren ferner Zeuge er nun über soziale Medien wird und sein Ohnmachtsgefühl hinterlassen zunehmend Spuren bei Aras - in Form von Apathie, Panikattacken und Halluzinationen. Die Beziehung zu Rhea leidet. Und irgendwann kommt der Konflikt bis vor die eigene Haustür – als die ersten Geflüchteten im Stadtbild auftauchen und Aras ihre Nähe sucht.

Dass Deutschland mittelbar an den Zuständen in Syrien beteiligt ist, macht uns Autorin Luna Ali in "Da waren Tage" klar. Sie kontextualisiert die Ereignisse auch mittels historischer Rückblicke. Ranghohe Nazis tauchten einst in Syrien unter und bauten den berüchtigten Geheimdienst mit auf. Und Chemikalien made in Germany wurden bis kurz vor Konfliktausbruch nach Syrien geliefert.

Doch es gibt auch viele helfende Hände und substanzielle Unterstützung. Dank der Bürgschaft einer bekannten Lehrerin kann Aras‘ Familie Verwandte nach Deutschland holen. Es folgen diverse Episoden aus seinem Studium, welches er schließlich erfolgreich beendet. Er wird in eine Talkshow eingeladen, macht während eines Praktikums in Amman mit Rhea einen Kurzurlaub am Roten Meer und heuert später auf einem Boot der Seenotrettung an. Zwar kann es wegen technischer Probleme letztlich nicht mit ihm an Bord auslaufen, dennoch sind die Begegnungen dort eine inspirierende Erfahrung.

"Da waren Tage" ist nämlich auch ein fulminantes Plädoyer für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Stilistisch ist Luna Alis "Da waren Tage" ein äußerst vielfältiges Unterfangen. Romanfragment, Collage, Monolog und theoretische Überlegungen ermöglichen eine anspruchsvolle, tiefgehende Leseerfahrung, die uns den längst von anderen weltpolitischen Geschehnissen überlagerten Konflikt in Syrien eindrucksvoll vergegenwärtigt.

Eine Rezension von Moritz Holler

Literaturangaben:
Luna Ali: Da waren Tage
S. Fischer Verlage, 2024
304 Seiten, 24 Euro