Das Bundesarbeitsgericht sollte am Donnerstag (28.07.2016) seine Entscheidung über das Arbeitsrecht der katholischen Kirche verkünden. Stattdessen legte es den Fall den Richtern des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg vor, die darüber entscheiden sollen, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz - also der Schutz vor Benachteiligung etwa durch Religion oder Alter - verletzt wurde.
Verhandelt wurde der Fall eines Mediziners, der als Chefarzt an einer katholischen Klinik in Düsseldorf arbeitete. Die hatte ihm im Jahr 2009 gekündigt, weil er nach einer Scheidung erneut geheiratet hatte und damit nach Ansicht seines Arbeitgebers gegen die katholische Sitten- und Glaubenslehre und gegen seine Loyalitätspflichten laut Arbeitsvertrag verstoßen habe. Zu Unrecht, so urteilten alle Gerichte einschließlich des Bundesarbeitsgerichtes. Das Bundesverfassungsgericht aber hob die Entscheidung auf und verlangte, das Recht der Kirche auf Selbstbestimmung stärker zu würdigen. WDR-Religionsexperte Theo Dierkes ordnet den Sachverhalt ein.
Wie weit reichen die Sonderrechte der katholischen Kirche als Arbeitgeber?
Beide Kirchen können ihre Arbeitsverhältnisse selbständig regeln. Das ist im Grundgesetz-Artikel 140 so festgelegt. Streitfall ist seit Jahrzehnten die Forderung vor allem der katholischen Kirche, alle Mitarbeiter müssten die katholische Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt bestätigt, dass die katholische Kirche jedem Beschäftigten kündigen könne, der im Privatleben gegen fundamentale Glaubenssätze verstoße. Darüber hinaus lehnen die Kirchen Gewerkschaften, Streiks und Tarifverträge ab. Grund dafür ist die Vorstellung, dass alle Mitarbeitenden eine "Dienstgemeinschaft" bilden und es in der Kirche kein Gegeneinander von Arbeitnehmern und Arbeitsgebern geben dürfe.
Hat sich die Haltung der Gerichte in den letzten Jahren geändert?
Grundsätzlich stützen die obersten Gerichte weiterhin das Sonderrecht der Kirche. Im vorliegenden Fall hatte auch das Bundesarbeitsgericht in seiner ersten Entscheidung, die vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen wurde, ausdrücklich betont, die Kirche habe das Recht zur Kündigung bei einem Loyalitätsverstoß wie einer erneuten Eheschließung. Hier hatten die Richter bisher die Aufhebung der Kündigung damit begründet, dass der Krankenhausträger mit katholischen und evangelischen Mitarbeitern gleiche Arbeitsverträge abgeschlossen habe, gegenüber protestantischen Kräften aber bei erneuter Eheschließung nicht zum Mittel der Kündigung gegriffen hatte. Gegen diese erste höchstrichterliche Niederlage war die katholische Kirche vor das Bundesverfassungsgericht gezogen und hatte dort Erfolg.
Neben diesem Fall hatte aber auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof einem wegen einer außerehelichen Beziehung gekündigten Kirchenmusiker aus dem Bistum Essen Recht gegeben in seiner Klage gegen die deutsche Justiz. Die kirchliche Kündigung habe sein Recht auf Privat- und Familienleben verletzt, entschieden die Richter. Der Eingriff in die Privatsphäre bekommt mit diesem Fall mehr Gewicht als das Selbstbestimmungsrecht der Kirche.
Warum wird dieser Fall durchgefochten, obwohl die katholischen Bischöfe die Regeln 2015 entschärft haben?
Im Mai 2015 veröffentlichten die katholischen Bischöfe eine reformierte Fassung des kirchlichen Arbeitsrechts für die mehr als 700.000 Mitarbeiter von katholischer Kirche und Caritas. Mit der Reform will die Kirche auf wiederverheiratete Geschiedene und Mitarbeiter zugehen, die in eingetragenen Lebenspartnerschaften leben. Die strengen Loyalitätsanforderungen sollen nur noch für verkündigungsnahe kirchliche Berufe gelten sowie für Leitungsämter. Grundsatz der Neuerung war, dass nicht mehr automatisch Kündigungen ausgesprochen werden müssten. Die Entscheidung bleibt jedoch weiterhin beim Bischof. Die Kündigung des Düsseldorfer Chefarztes geschah 2009, also vor der Neuregelung. Sollte seine Kündigung unwirksam sein, hätte er nicht nur Recht auf Schadenersatz, sondern auch auf Wiedereinstellung oder entsprechende Geldleistungen.
Warum ist der katholischen Kirche die Wiederverheiratung ein solch großer Dorn im Auge?
Die katholische Lehre geht aus vom Wort Jesu "Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen!" (Matthäus-Evangelium Kap. 19, Vers 5). Die Kirche besteht deswegen auf der Endgültigkeit der Eheschließung mit dem Ja-Wort "bis der Tod uns scheidet". Eine staatliche Scheidung ignoriert die Kirche und sieht in diesem Fall ein Fortbestehen der Ehe. Die neue Eheschließung ist deswegen kirchlich die schwere Sünde Ehebruch. Außerdem sieht die Kirche jede Ehe als Bild für die Verbindung von Gott und Kirche. So wie sich Mann und Frau endgültig binden, so hat sich Gott an seine Zusage gebunden.
Von Erfurt nach Luxemburg
Das EuGH soll jetzt prüfen, ob europäisches Recht es zulässt, dass ein kirchlicher Arbeitgeber Unterschiede zwischen einem katholischen, protestantischen oder konfessionslosen Arbeitnehmer macht. Das Bundesarbeitsgericht setzte das Verfahren aus, bis die Richter in Luxemburg zu einem Urteil gekommen sind. Reaktionen gab es schon, so vom religionspolitischen Sprecher der Grünen, Volker Beck: Nach seiner Ansicht ist eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts dringend erforderlich - auch angesichts der Pläne, einen islamischen Wohlfahrtsverband zu gründen.