Ein Braunkohlebagger vom RWE arbeitet bei Jüchen, im Hintergrund Windräder.

Kohleausstieg 2030: Neue Dokumente nähren Verdacht von Hinterzimmer-Deal

Stand: 21.05.2024, 15:48 Uhr

Wie kam der vorgezogene Kohleausstieg 2030 zustande? FDP-Fraktionschef Höne wählte einen Umweg als einfacher Bürger, um an einige Basis-Informationen zu gelangen, wie zuerst die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ) berichtete.

Von Sabine TentaSabine Tenta

Wie genau ist der vorgezogene Kohleausstieg 2030 für das Rheinische Revier zustande gekommen? Das wollte der Fraktionschef der FDP im Landtag NRW, Henning Höne, vom Wirtschaftsministerium des Landes wissen.

Dafür wählte Höne den Umweg von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz IFG, dem Umweltinformationsgesetz und dem Verbraucherinformationsgesetz. Sie regeln Auskunftsrechte, die allen Bürgerinnen und Bürgern offen stehen. Bemerkenswert: Die Privatperson Höne erhielt mehr Informationen als der gewählte Abgeordnete Höne bei seinen Anfragen an die Landesregierung.

Vom gesellschaftlichen Konsens zum Deal im kleinen Kreis

Kurz zur Erinnerung: Eine vom Bundestag eingesetzte Kohle-Kommission, in der Kraftwerksbetreiber ebenso vertreten waren wie die Initiative Buirer für Buir, vereinbarte den Braunkohle-Ausstieg bis 2038. Es folgten breite Debatten - in der Öffentlichkeit und den Parlamenten - und ein Kohleausstiegsgesetz, das der Bundestag im Sommer 2020 beschloss. Ein transparenter Vorgang.

Doch dann verkündeten überraschend im Oktober 2022 NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und ihr Kollege im Bund, Robert Habeck (beide Grüne), mit RWE-Chef Markus Krebber eine Vereinbarung zum vorzeitigen Kohleausstieg von RWE im Jahr 2030. Der wurde im ganz kleinen Kreis verhandelt, wie das NRW-Wirtschaftsministerium dem "Bürger" Henning Höne mitteilte. Auf WDR-Nachfrage betonte ein Ministeriums-Sprecher, das sei von seinem Haus bereits in der Vergangenheit kommuniziert worden.

Die Beteiligten der RWE-Vereinbarungen

Laut den Unterlagen, die Henning Höne erhielt, war an den Verhandlungen zum vorzeitigen Ausstieg dieser Personen-Kreis involviert:

  • NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur,
  • Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck,
  • Patrick Graichen, damals Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium,
  • Markus Krebber, Vorstandsvorsitzender von RWE
  • und weitere Personen, deren Name und E-Mail-Adressen in den Unterlagen zur Korrespondenz geschwärzt sind.

Informiert war auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der konkrete Änderungswünsche am Text der Vereinbarung durchsetzte.

Ebenfalls eingebunden war Oliver Krischer (Grüne), Verkehrs- und Umweltminister in NRW, der bis Juni 2022 Staatssekretär im Habeck-Ministerium war. Krischer sagte am Dienstag dem WDR dazu: "Ich verstehe hier im Moment gar nicht, was die Debatte ist, weil es sind alle Informationen zeitnah öffentlich und präsent dargestellt worden."

Zu dieser von Krischer konstatierten Transparenz will gar nicht passen, dass das NRW-Wirtschaftsministerium sowohl in der Kommunikation mit Henning Höne als auch im Verlauf der Verhandlungen immer wieder auf eine vereinbarte Vertraulichkeit verweist. Der Kreis der Beteiligten wurde offenbar bewusst sehr eng gehalten. Selbst das Kabinett sollte der involvierte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst nicht informieren! Geschweige denn die Abgeordneten des NRW-Landtags.

Der grüne (Hinterzimmer-)Deal mit RWE und die Folgen

WDR RheinBlick 24.05.2024 24:20 Min. Verfügbar bis 23.05.2029 WDR Online


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Die FDP hatte bereits im letzten Jahr ein Rechtsgutachten dazu in Auftrag gegeben. Demnach wurden die Rechte der Abgeordneten auf Unterrichtung durch die Landesregierung beim vorgezogenen Kohleausstieg 2030 verletzt.

Ist RWE der große Gewinner des Kohleausstiegs 2030?

Aber auch an der Vereinbarung selbst gibt es bereits seit längerem Kritik. RWE habe sehr gut verhandelt, ist der Grundtenor. Der Konzern habe den grünen Ministerien im Bund und im Land Zugeständnisse abgetrotzt für ein Ausstiegsdatum, das er selbst wohl im Blick hatte. Als die nötigen C02-Zertifikate noch günstig waren, hat sich RWE damit eingedeckt - bis 2030. Danach wäre es richtig teuer für RWE geworden, weiter Braunkohlekraftwerke zu betreiben.

Und es stellt sich immer drängender die Frage: Klappt das mit dem Ausstieg 2030 überhaupt. Selbst Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) äußerte zwischenzeitlich seine Zweifel. Kein Wunder, denn der Ausbau der für den Ausstieg nötigen Gaskraftwerke hinkt weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan her.

Der Bund müsste zahlen, wenn die Braunkohlemeiler nach 2030 laufen

Wer zahlt dafür, wenn RWE doch weiter Braunkohle-Meiler befeuern muss? Der WDR berichtete bereits Anfang des Jahres, dass dann der Bund einspringen muss - und am Ende alle Steuerzahlenden dafür einstehen. Damit konfrontiert dementierte Wirtschaftsministerin Neubaur im Januar 2024: "So lese ich die Verständigung, die wir getroffen haben, nicht." Sie verweist auf ein Revisionsdatum im Jahr 2026 und dass es eine Reserve von drei Jahren geben kann.

Doch am Dienstag bestätigt das Ministerium auf WDR-Nachfrage: "Der Bund kommt für zusätzlich anfallende Kosten einer eventuellen Kohlekraftwerksreserve zwischen 2030 und 2033 auf." Ein Sprecher verweist auf die Vereinbarung zwischen RWE und den Ministerien. Dort ist explizit festgehalten, dass "die zusätzlich anfallenden Kosten der Kohlebereitstellung und Kraftwerken für die Reservevorhaltung und – je nach Ausgestaltung – auch im Falle eines Abrufs erstattet werden". Die Wiedernutzbarmachung der Tagebaue werde keine zusätzlichen Kosten verursachen, heißt es weiter.

Henning Höne: "schlichtweg absurd"

Für Henning Höne, der wissen will, wie der Deal mit RWE zustande kam, ist die Reaktion der Landesregierung auf seine Anfragen "schlichtweg absurd", wie er dem WDR sagte. Die Grünen verweigerten weiterhin die Offenlegung wichtiger Informationen und verschleierten ihr Regierungshandeln. Die Schwärzungen in den Dokumenten zeige, "dass CDU und Grüne viel zu verbergen haben". Diese Geheimhaltung nennt Höne "absolut inakzeptabel", für ihn ist es "ein Affront gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die ein Recht auf vollständige Informationen haben".

Auch, dass Auskunftsrechte für Bürgerinnen und Bürger weitreichender seien als für Abgeordnete, kritisiert Höne. "Die Auskunftsrechte für Bürger wurden in den letzten Jahren immer wieder erweitert und konkretisiert - die Rechte des Landtags sind leider an vielen Stellen stehen geblieben." Die Parlamentarier müssten mehr Rechte erhalten, um die Landesregierung kontrollieren zu können.

Der FDP-Fraktionschef vermutet, dass es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Vereinbarung von Neubaur und Habeck mit RWE und dem Bundesparteitag der Grünen im Oktober 2022 gegeben habe. Die Erfolgsmeldung vom vorgezogenen Kohleausstieg sollte der Basis die Zustimmung zu Laufzeitverlängerungen für Atom- und Braunkohlekraftwerke leichter machen. Die waren wegen der Energiekrise, ausgelöst durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, vereinbart worden.

SPD: "Versteckspiel ohne offene Karten"

Auch Lena Teschlade (SPD) kritisiert das Vorgehen der Landesregierung. Dem WDR sagte die revierpolitsiche Sprecherin der Oppositionsfraktion: "Die schwarz-grüne Landesregierung hat beim Kohleausstieg von Beginn an ein Versteckspiel ohne offene Karten betrieben." Der Umgang der Landesregierung mit dem Parlament sorge nicht "für den dringend nötigen Vertrauensgewinn in das Handeln von Schwarz-Grün".

NRW-Wirtschaftsministerium verteidigt Vertraulichkeit

Ein Sprecher des NRW-Wirtschaftsministeriums teilte am Dienstag auf Anfrage mit: "Die Vereinbarung wurde aufgrund ihrer Tragweite auf höchster Ebene verhandelt." Unmittelbar nach der Einigung sei die Verständigung in einer Pressekonferenz am 4. Oktober 2022 vorgestellt worden. "Ein Beschluss innerhalb der Landesregierung hat im Vorfeld der Pressekonferenz nicht stattgefunden, eine Kabinettbefassung erfolgte in der Sitzung am 18. Oktober 2022."

Und weiter heißt es: "Ministerpräsident Wüst wurde über den Gang und nach Abschluss über die Ergebnisse der Verhandlungen informiert." Doch die auszugsweisen Korrespondenzen des NRW-Wirtschaftsministeriums, die Henning Höne erhielt, belegen, dass Wüst eine aktivere Rolle spielte. So hatte er im Vorfeld der Vereinbarung konkrete Nachbesserungswünsche, die auch umgesetzt wurden.

Teures Ende denkbar

Sollte RWE trotz aller Ausstiegs-Pläne auch nach 2030 im Rheinischen Revier noch Braunkohle abbaggern und verstromen müssen, weil sonst die Energieversorgung im Land nicht gesichert ist, dann wird die Debatte um den Ausstiegs-Deal eine ganz neue politische Wucht entfalten. Denn es würde teuer für uns alle.

Kohleausstieg: Grüne Nebelkerze 2030?

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