Debatte um längere AKW-Laufzeiten: Fragen und Antworten

Stand: 24.06.2022, 17:58 Uhr

Gas ist jetzt ein knappes Gut, warnt Wirtschaftsminister Habeck. Immer lauter werden daher die Rufe, die letzten drei Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Im ARD-Deutschlandtrend hat sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen.

Könnten Atomkraftwerke in der aktuellen Energiekrise helfen?

Ein Mensch hält einen Stecker in der Hand

Die AKW liefern sechs Prozent des deutschen Strombedarfs.

Vermutlich nur zum Teil. Aktuell sind noch drei AKW in Betrieb: in Lingen, in Neckarwestheim und in der Nähe von Landshut. Am 31. Dezember sollen sie abgeschaltet werden. Aktuell liefern sie etwa sechs Prozent des deutschen Strombedarfs.

Würde man die Stromproduktion mit Kernenergie ausweiten, könnte das zu niedrigeren Preisen an der Strombörse führen, sagt etwa Ökonom Manuel Frondel, Leiter des Kompetenzbereichs Umwelt und Ressourcen beim RWI in Essen. Denn die reinen Produktionskosten in AKW sind geringer sind als bei Gas oder Kohle.

Dazu kommt: Die Bundesregierung will verstärkt wieder Braun- und Steinkohlekraftwerke zur Absicherung der Versorgung ans Netz nehmen. Das ist deutlich klimaschädlicher als der vergleichsweise CO2-arme Strom aus Atomkraftwerken.

Das Bild zeigt einen Heizungsmonteur von hinten an einer Gastherme.

Die Gasknappheit können auch AKW nicht lösen.

Ein Hauptproblem können aber auch AKW nicht lösen: die Gasknappheit. Das meiste Gas hierzulande wird als Heizenergie benötigt. In der Industrie ebenso wie in Privathaushalten. Kernkraftwerke erzeugen zwar Strom, aber keine sinnvoll nutzbare Wärme. "Wir haben kein Stromproblem, sondern ein Wärmeproblem", sagt Energieökonomin Claudia Kemfert vom DIW.

Zwar könnten AKW helfen, Gas zu sparen – indem weniger für die Stromerzeugung verbrannt wird. Zwölf Prozent sind das aktuell. Doch nicht überall ist das möglich: "Ein großer Teil der Gaskraftwerke erzeugt auch Wärme, die für Fernwärmekunden in Ballungszentren eingesetzt wird", warnt Timm Kehler vom Branchenverband "Zukunft Gas". Diese "Kraft-Wärme-Kopplung" lasse sich nicht ohne weiteres ersetzen.

Auch das Bundeswirtschaftsministerium kam bei seiner Prüfung im März zum Ergebnis: "Mit Blick auf die aktuelle Gaskrise kann die Verlängerung der Laufzeiten also nur einen begrenzten Beitrag leisten."

Ist ein längerer Betrieb technisch möglich?

Relativ leicht möglich wäre es, die Meiler im Sommer in einer Art Sparbetrieb zu fahren. Dadurch würden die verwendeten Brennstäbe einige Monate länger, vermutlich bis in das Frühjahr reichen, heißt es in der Branche.

Für einen längeren Betrieb bräuchte es aber neue Brennstäbe. Die haben eine Vorlaufzeit von zwölf bis 18 Monaten, über die genaue Zeit streiten die Fachleute. RWE-Chef Markus Krebber betont zudem, dass die Brennelemente passend zu jedem Reaktortyp hergestellt werden müssen. Also nicht ohne Weiteres von der Stange gekauft werden können.

Das würde bedeuten: Zusätzlichen Strom könnten die AKW erst ab Herbst 2023 liefern. Vorausgesetzt, die Betreiber und Partnerfirmen können genug Personal finden – mit Blick auf das lange feststehende Auslaufen am 31. Dezember sind viele Verträge gekündigt oder Mitarbeiter in andere Jobs gewechselt.

Wäre eine längere Laufzeit rechtlich erlaubt?

Das ist ein großes Problem. Eigentlich erlischt die Betriebsgenehmigung am Jahresende, für einen Weiterbetrieb müssten also Gesetze und Verordnungen geändert werden.

Dazu kommt: Alle zehn Jahre brauchen die AKW eine neue Sicherheitsüberprüfung. Die letzte war bereits 2009. Vor einem Weiterbetrieb könnten also beispielsweise teure Nachrüstungen notwendig werden.

Das Umweltministerium geht davon aus, dass sich ein solcher Sicherheitscheck inklusive Umbauten erst bei einem Weiterbetrieb ab drei bis fünf Jahren lohnt.

Was sagen die Betreiberfirmen?

Die Energiemultis Eon, RWE und EnBW als Eigentümer sind bislang strikt gegen einen Weiterbetrieb – obwohl die abgeschriebenen Anlagen derzeit wegen des hohen Börsenstrompreises hohe Gewinne einfahren.

"Für den kommenden Winter könnten Kernkraftwerke keinen nennenswerten zusätzlichen Beitrag für die Versorgungssicherheit leisten", sagte RWE-Chef Markus Krebber schon im März – und argumentiert auch heute noch so. "Für einen sinnvollen verlängerten Betrieb schätzen auch wir die Hürden als zu hoch ein."

Ähnlich äußert sich Eon-Chef Leonard Birnbaum. Die Lage würde sich nicht wirklich verändern: "Atomkraft hat in Deutschland keine Zukunft. Punkt."

Das bedeutet: Die Betreiber stellen sich auf die Seite von Wirtschafts- und Umweltministerium, die einen Weiterbetrieb ablehnen.

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