Connie Palmen: Vor allem Frauen
Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing.
Diogenes, 2024.
160 Seiten, 19 Euro.
"Sobald ich mir sicher bin, dass ein Buch wirklich zu mir gehört, sobald ein Schriftsteller mich erobert hat, denn so fühlt es sich an, schreibe ich auf die Innenseite des hinteren Buchdeckels das Datum, an dem ich mit dem Lesen angefangen habe. Es ist die Bekräftigung einer Beziehung, die wie alle Beziehungen mit einer Form der Aneignung beginnt."
Connie Palmens Aneignungen sind die einer leidenschaftlichen Leserin, die aus eigener Erfahrung weiß, was für eine gefährliche Sache das Schreiben ist. Es drohen Abstürze und Entgleisungen, aber im günstigen Fall, wenn Aufrichtigkeit und Phantasie zusammenwirken, kann es ein Akt der Selbstbehauptung, der Befreiung sein.
In ihrem Essay-Band "Vor allem Frauen" nimmt sie sich die Texte und Biografien von Schriftstellerinnen vor – ein Mann ist auch dabei: der amerikanische Autor Philipp Roth. Connie Palmen stellt Fragen: Aus welcher Motivation heraus schreibt ein Mensch? Welche Lebensentwürfe liegen dem zugrunde? Und sie unterstreicht die Zusammenhänge mit ihrer eigenen Arbeit als Schriftstellerin.
"Worte sind Welten. Bevor ich mit einer Geschichte anfange, bitte ich die Sprache um Unterstützung. Ich suche nach der Herkunft eines Wortes, um herauszufinden, in welchem Boden es wurzelt, wie es sich mit der Geschichte verzweigt, welche Reise es gemacht hat, was die Genese eines Begriffs mir zu erzählen vermag. Es ist wie mit Menschen: Wenn man weiß, woher sie kommen, aus welchem Sprachraum, dann versteht man sie besser."
Einfühlsam und scharfsinnig, mit Witz und Verstand, portraitiert Connie Palmen sechs englische und amerikanische Autorinnen und eben – den einen Mann. Indem sie sich mit dem Leben und Schreiben von Sylvia Plath, Joan Didion oder – prominentestes Beispiel – Virginia Woolf konfrontiert, spürt sie dem speziellen Verhältnis von Fiktion und Wahrhaftigkeit nach. Im Kern entdeckt sie überall, dass es Befreiungs- und Selbstheilungsversuche sind, die zum Schreiben führen, die nicht aufzugebende Hoffnung, Sinn zu stiften und die innere Zerrissenheit zu heilen. Im Unvermögen, sich anzupassen, schreibt Philipp Roth, finde er seine Wahrheit.
"Meine Liebe zu ihm hängt mit seinem uneingeschränkten Bekenntnis zum Leben als Schriftsteller zusammen und zu den Opfern, die das Leben dafür von ihm gefordert hat. Aber auch seine Empfindlichkeit ist mir nicht fremd, es gibt keinen anderen Schriftsteller, der seine Figuren so gründlich mit dieser Schwäche ausgestattet hat."
Im ersten Kapitel wirft Connie Palmen einen Blick auf Virginia Woolf und ihren berühmten Essay "Ein Zimmer für sich allein". Sie findet in Woolfs kühner Selbstbehauptung ein Vorbild, das entscheidend war für ihren eigenen Weg als Schriftstellerin. In jedem der neun kurzen Kapitel geht es um die Tücken des Schreibens, aus jeweils anderer Perspektive, um das nicht endgültig zu ergründende Geheimnis, warum ein Mensch sich freiwillig der Anziehungskraft und den Gefahren der Fiktion aussetzt.
Ein Kapitel heißt "Lola". Da geht es um einen Pop-Song von den Kings aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und um die belebende Wirkung widersprüchlicher Gefühle: Du magst dich, du magst dich nicht. Heute verzweifelt und morgen Schübe von Euphorie.
'"Ohne genau zu verstehen, warum, löste der Popsong eine fröhliche Unerschrockenheit in mir aus."
Connie Palmen will denen, die sich in ihr Buch vertiefen, etwas abgeben von ihrer Begeisterung. Das gelingt ihr ausgesprochen überzeugend: Sie macht neugierig auf sechs Autorinnen und einen Autor und lädt dazu ein, sie zu entdecken oder aus neuer Perspektive wiederzuentdecken.
"Die Frauen und der eine Mann in diesem Buch wecken in mir das Verlangen, so oft wie möglich in ihrer Nähe zu sein, und teilen damit das wichtigste Merkmal echter Freunde und Geliebten: Ihre Anwesenheit macht mein Leben schöner, spannender, geistreicher, komplexer und verständlicher."