Interview über Behandlungsfehler

Viel Frust über die Schulmedizin

Stand: 07.11.2014, 06:00 Uhr

Für Kranke ist ein Behandlungsfehler ein Schock. Was danach kommt, ist aber oft schlimmer: "Ärztefehler - vom jahrelangen Kampf um Gerechtigkeit" erzählt davon. Die Patienten aus der WDR-Doku behandelt Heilpraktiker Christian Rüger. Er gibt den Ärzten keine Schuld.

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WDR.de: Sie behandeln häufig Opfer von Behandlungsfehlern - wer kommt zu Ihnen?

Christian Rüger: Zu uns kommen Patienten, die schulmedizinisch austherapiert sind: Man kann ihren Gesundheitszustand weder durch Gabe eines bestimmten Medikaments noch durch eine operative Maßnahme verbessern. Es sind Menschen, die chronisch fortschreitende Sehstörungen haben und auch Kinder mit Entwicklungsstörungen, oft mehrfach behindert, körperlich und geistig. Außerdem kommen zu uns Patienten, die nach Vorbehandlungen oder Unfällen Sauerstoffmangel im Gehirn und infolgedessen Funktionsstörungen erlitten.

WDR.de: Behandlungsfehler während eines Routineeingriffs, die dann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben - soweit das Horrorszenario. Wie oft erfahren Sie von solchen Fällen?

Christian Rüger: So etwas kommt vor. In vielen Fällen handelt es sich um Routineeingriffe, bei denen etwas Unvorhergesehenes geschieht oder bei denen Patienten unerwartete, zum Beispiel allergische Reaktionen auf ein Medikament, zeigen. Oder es werden Fehldiagnosen gestellt - zum Beispiel aufgrund von Zeitmangel, weil einfach schnell gehandelt werden musste. Manchmal wird aber auch einfach versäumt, rechtzeitig zu handeln. Das geht auf Kosten der Gesundheit des Patienten.

Es kommt dann häufig vor, dass auch weitere Operationen, Reha, Physiotherapie oder logopädische Einheiten einen Patienten nicht mehr in seinen vorherigen gesundheitlichen Zustand versetzen können. Zu uns kommen dann Menschen, bei denen das Hüftgelenk nach einer OP im falschen Winkel liegt, eine Folge kann eine chronische Entzündung oder die unterschiedliche Länge der Beine sein. Auch Patienten mit misslungenen Operationen am Grauen Star bekommen wir häufig.

WDR.de: Sie hören viel Frust über die Schulmedizin?

Christian Rüger: Auf jeden Fall. Die Menschen sind nach einer Fehlbehandlung oft traumatisiert. Trotzdem glaube ich, so häufig wie diese Behandlungen und Eingriffe vorgenommen werden, ist der Anteil der Fehler noch relativ gering. Mir kann auch ein Fehler unterlaufen, davon kann sich wohl niemand freisprechen. Schade ist, wenn man sich diesen Fehler nicht eingesteht. Oft hat sich nicht einmal jemand entschuldigt. Das liegt auch an unserem System, den Ärzten kann man da gar keine Schuld geben. Es ist das Rückerstattungssystem der Kassen, das sie dazu zwingt. Auch das medizinische Personal ist darüber unglücklich, hören wir immer wieder, weil wir mit vielen Ärzten zusammen arbeiten.

WDR.de: Können Sie das näher erklären?

Christian Rüger: Wenn ich zum Beispiel zum Augenarzt gehe und eine komplette Kontrolle durchführen lasse, sollte man auch den Augendruck messen lassen. Eine Abweichung vom Normalwert deutet auf eine verminderte Durchblutung des Sehnervs hin und ist eine häufige Erkrankung. Der Befund ist allerdings meistens zufällig, weil die Kasse sie nicht oder nicht häufiger als einmal pro Jahr zahlt. Die Augendruck-Messung ist aber eine wertvolle vorbeugende Maßnahme. Ähnlich ist das bei der professionellen Zahnreinigung. Menschen können also kaum präventiv tätig werden - außer, sie zahlen sie selbst.

WDR.de: Wie war es bei den beiden Patienten aus der Doku "Ärztefehler - Vom jahrelangen Kampf um Gerechtigkeit", die sie mittlerweile behandeln?

Christian Rüger: Die schwangere junge Frau bekam ein falsches Medikament, erlitt eine Fehlgeburt und einen Hirnschaden und ist nun mehrfach behindert. Niemand hat diesen Fehler eingesehen. Der andere Patient, Reinhold Otto, war bereits mit Magengeschwür im Krankenhaus und erhielt nur schmerzstillende Infusionen, die Krämpfe lösen. Untersucht wurde er nicht. Am nächsten Morgen hatte er einen Herzstillstand und multiples Organversagen. Im Augenblick wird das Thema Behandlungsfehler medial sehr stark aufgegriffen. Viele sagen mir, dass sie nicht mehr zum Arzt gehen wollen. Davor warne ich, darum geht es nicht.

WDR.de: Sich vor Behandlungsfehlern zu schützen dürfte schwierig sein?

Eckart von Hirschhausen

Arzt und Entertainer: Eckart von Hirschhausen

Christian Rüger: Ich zitiere da gern Eckhard von Hirschhausen. Er sagt: Wenn bei mir etwas operativ gemacht werden soll, hole ich mir vorher eine zweite Meinung ein. Wenn es kein gravierendes Herzproblem ist, bleibt diese Zeit fast immer. Lassen Sie sich nie die Pistole auf die Brust setzen. Wenn beide Arztmeinungen dann übereinstimmen - machen lassen. Operationen sind schnell durchgeführt, können aber nicht rückgängig gemacht werden.

WDR.de: Wie gehen Sie bei neuen Patienten vor?

Christian Rüger: Wir führen bei jedem zuerst eine Grunduntersuchung durch und übernehmen keine Vordiagnosen. Dabei nutzen wir auch schulmedizinische Parameter wie Blut oder Urin und ganz normale Vermessungen. Danach findet eine Anamnese, eine komplette Aufnahme des Falles, statt - wie der Arzt sie auch durchführt. Später werden alle Ergebnisse zusammengeführt und wir sagen den Patienten, ob wir etwas für sie tun können, ob wir ihre Schmerzen zum Beispiel beseitigen können oder nicht. Dann können die Leute erst einmal darüber nachdenken, werden aber mit entsprechenden homöopathischen Medikamenten schon einmal erstversorgt.

Ein Arzt hat mittlerweile oft nur noch einen achtminütigen Kontakt je Patient, um das Unternehmen Praxis aufrecht zu erhalten und Mitarbeiterkosten nicht zu erhöhen. Was wir tun, übernehmen die Patienten privat. Dadurch habe ich den Luxus, mir die Zeit für eine Beratung oder eine ungeplante Zusatzbehandlung zu nehmen. Wir merken, dass die Menschen wieder mehr Zeit mit ihrem Arzt verbringen möchten, weil es Vertrauen schafft.

WDR.de: Sehen Sie sich in Konkurrenz zur Schulmedizin?

Christian Rüger: Nein. Wir sehen uns als Bindeglied zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde. Naturheilkunde sollte dort eingesetzt werden, wo sie möglich und machbar ist und Schulmedizin dort, wo sie nötig ist. Einem Patienten mit bakterieller Blasenentzündung kann man nur empfehlen, sich vom Arzt ein Antibiotikum verschreiben zu lassen. Bestimmte Tumore können nur operativ entfernt werden und müssen entsprechend schulmedizinisch therapiert werden. Wir sind sehr breit schulmedizinisch vernetzt.

Das Interview führte Insa Moog.

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