Interview mit dem Autor Valentin Thurn

Die Milchrebellen

Stand: 29.10.2014, 14:40 Uhr

WDR: Der Milchmarkt ist hart umkämpft. Es herrscht ein enormer Preisdruck. Wie verlaufen die Konfliktlinien?

Valentin Thurn: Der Milchmarkt ist durch eine heftige Konzentration geprägt. Nachdem eine Übernahmewelle die Zahl der Molkereien in den letzten Jahren auf wenige große reduziert hat, sind jetzt die Bauern dran, nach der Maxime: „Wachse oder Weiche!“ machen immer mehr kleine Höfe dicht. 
Eigentlich ist das eine sehr junge Tendenz. Der Milchmarkt in Europa war lange geschützt durch Milchquoten. Die Quoten haben geregelt, dass in den jeweiligen EU-Ländern nicht zu viel Milch produziert wurde. Wer das trotzdem  tat, wurde finanziell sanktioniert.
Auch relativ kleine Milchbauern konnten so überleben, während bei Viehbauern mit Schweinen oder Hühnern die Massenställe schon seit 20 Jahren oder länger existieren. Da befinden sich dann bis über Hunderttausend Tiere in den Ställen.  1.000 Kühe hingegen sind schon sehr, sehr viel.
Uns sind Bauern begegnet, die sagen: Wir wollen nicht größer werden. Das ist mutig. Denn die Preise gehen langfristig nach unten, kleine Bauern können deshalb immer schlechter überleben.

WDR: Welche Probleme haben die kleinen Milcherzeuger?

Valentin Thurn: Der Wachstumszwang liegt im System. Es ist nicht einfach ein böser Konzern, der die Kleinbauern bedroht. Die kleinen Bauern wollen eine Beziehung zu ihren Tieren haben. Sie wollen eine Landwirtschaft, in der sie ihr Futter selber machen können. Aber überall  um sie herum rät man ihnen: Du musst investieren! Das geht los bei der Beratung durch die Landwirtschaftskammer oder den Bauernverband. Da heißt es, geh‘ zur Bank, da bekommst du einen Kredit. Wenn aber einer sagt, ich möchte nur auf 100 Kühe vergrößern, dann sagt die Bank, das lohnt sich nicht. Damit bist du in fünf Jahren viel zu klein. Du musst auf 500 vergrößern, dafür geben wir dir einen Kredit. Zu widerstehen, wenn alle nur noch an Wachstum denken, ist nicht leicht.

WDR: Woher kommt der Wachstumsdruck?

Valentin Thurn: Er hat damit zu tun, dass die kleinen Bauern die Milch tendenziell etwas teurer produzieren als die großen, weil  bei ihnen mehr Arbeitskraft drin steckt. Die großen Bauern und Molkereien sind nur deshalb günstiger, weil sie Arbeitskraft einsparen können. Sie haben ja mehr Maschinen.

Mann füttert Kälber mit Milch

Hierzulande gibt es nur noch wenige kleine Milchbauernhöfe

WDR: Können Große so nachhaltig produzieren wie Kleine?

Valentin Thurn: Nein. Je größer ein Hof oder Betrieb ist, desto schwieriger wird es, nachhaltig zu produzieren. Mit Grünland – also ausschließlich mit Wiesen und Weiden - und ohne Kraftfutter zu produzieren, ist bei den größeren Betrieben ab einer Größe von 100 oder 200 Kühen kaum mehr möglich. Da kommen die Kühe gar nicht mehr aus dem Stall, das ganze Jahr nicht. Sie werden nur noch mit Kraftfutter ernährt. Das muss aber auf dem Acker angebaut werden. Und das ist gegenüber dem Grünland für das Klima eine Katastrophe. Denn im Gras wird in den Wurzeln CO2 gebunden. Das bedeutet einen positiven Effekt gegen die Klima-Erwärmung. Wenn man dagegen für das Futter Maismonokulturen anbaut oder Soja - etwa in Lateinamerika, wo auch noch Regenwald abgeholzt wird -, dann beschleunigt das die Klimaerwärmung. Deswegen ist der gegenwärtige Trend bei der Milcherzeugung absolut katastrophal für unsere Umwelt.

WDR: Welche landwirtschaftlichen Prinzipien vertreten die Kleinen?

Valentin Thurn: Man könnte zynisch sagen, dass das, was auf deren Packungen zu sehen ist, also Kühe auf grünen Weiden, dass das sowieso Romantik ist und nicht mehr stimmt. Aber die Kleinbauern, die dieses Bild erhalten wollen, treibt nicht eine romantische Idee. Das sind Profis. Sie haben keine Angst vor Technik. Es geht ihnen aber schon um artgerechte Tierhaltung.
Ich würde nicht sagen, dass größere Ställe immer schlechter sind als kleine. Aber in den großen Ställen kann man sich nicht mehr ums einzelne Tier kümmern. So ein Betrieb hat viele Angestellte. Das sind Massenbetriebe, in denen zum Beispiel ein paar wenige Bakterien dafür sorgen, dass man gleich einen ganzen Stall mit Antibiotika versorgen muss. Es gibt sicher gute und weniger gute unter den Großställen. Aber insgesamt gilt: je größer, desto weniger nachhaltig. Vor allem weil das Futter  auf dem Acker angebaut werden muss.

WDR: Wie wehren sich die kleineren Bauern gegen den Wachstumszwang?

Valentin Thurn: Manchmal finden sie individuelle Lösungen. Zum Beispiel durch die Direktvermarktung in Form einer Milchtankstelle für die Menschen in der Nähe oder einer Hofkäserei. Es geht aber auch etwas größer. Dann schließen sie sich zu einer eigenen Molkerei zusammen. Das erzählen wir in unserem Film am Beispiel der Upländer Molkerei. Sie liegt an der Grenze zwischen Nordrhein Westfalen und Hessen.
Die Upländer konnten aber nur knapp überleben in den letzten Jahren. Ihr Ziel ist es, den Bauern einen anständigen Preis zu zahlen. Das Ziel vieler anderer großer Molkereikonzerne ist es vor allem, ein Geschäft zu machen. Sie wollen die Bauern zwar nicht kaputt machen. Aber es ist ihnen eher egal, wie die Struktur der Landwirtschaft aussieht. Sie bestrafen die kleinen Bauern sogar, indem sie ihnen weniger zahlen. Klar, so eine große Molkerei fährt mit einem Tankwagen zum Großbauern. Dort hat sie weniger Aufwand, die Milch abzuholen als beim Kleinbauern. Also kriegt der große Bauer pro Liter mehr Geld.

Milchpackungen stehen im Regal

Milch im Handel

WDR: Wie ist die wirtschaftliche Lage der Kleinbauern?

Valentin Thurn: Momentan kann man als kleiner Milchbauer mit 50 Kühen noch einigermaßen gut leben. Nach einigen Jahren schlimmster Niedrigpreise hat sich die Lage etwas entspannt. Der Preis pro Liter ist deshalb gestiegen, weil die Nachfrage auf dem Weltmarkt, vor allem aus Asien, stark gestiegen ist. Das kann sich aber schnell wieder ändern, die Weltmarktpreise schwanken schwanken generell extrem. Und wenn im nächsten Jahr die Milchquote fällt, sind die Bauern in der EU schutzlos diesen Schwankungen ausgesetzt.
Aber im Moment sind die Gewinnerwartungen hoch, deshalb wird noch kräftig investiert. Viele Bauern vergrößern ihren Betrieb. Über kurz oder lang wird aber der Moment kommen, wo die Preise wieder sinken und alle unter Druck kommen. Das ist abzusehen. Denn wer fragt im Moment die Milch nach? Das sind vor allem die Chinesen. Irgendwann werden sie aber selbst mehr Milch erzeugen, dann brauchen sie unsere Milch nicht mehr. Dann geht es mit unseren kleineren Milchbauern als erstes bergab.

WDR: Wie global ist der deutsche Milchmarkt?

Valentin Thurn: Milch wurde früher nur für den lokalen und regionalen Markt produziert, später für den Markt in ganz Deutschland und Europa. Und jetzt wird die Milch sogar global exportiert, und zwar als Milchpulver oder Käse. Das sind inzwischen die Produkte, die den Preis bestimmen. Und weil der Weltmarkt von der Börse und der Nachfrage getrieben stark schwankt, macht sich unsere Milchbranche extrem abhängig.
In dem Moment, wo der Weltmarkt zusammenbricht – und das wird kommen, das ist nur eine Frage der Zeit -, haben wir hier bei uns Auswirkungen, die wir an unserer Landschaft sehen werden. Das ganze Grünland  in den Mittelgebirgen wird dann von heute auf morgen nicht mehr gebraucht. Große Betriebe werden sich nur noch auf wenige Regionen konzentrieren, sie werden ihre Kühe vor allem mit Kraftfutter wie Mais und Soja füttern, das zu einem großen Teil importiert wird. Aber die vielen kleinen Weiden in den deutschen Mittelgebirgen werden dann nicht mehr gebraucht, wenn es keine Milchbauern mehr dort gibt, wird auch keiner mehr Heu ernten, und die Wiesen werden verbuschen.

WDR: Gibt es Preisabsprachen auf dem deutschen Milchmarkt?

Valentin Thurn: Das Bundeskartellamt hat beklagt, dass das Gleichgewicht zwischen Anbietern und Abnehmern auf dem Markt, also zwischen Bauern und Molkereien, sehr zulasten der Bauern geht. Die Molkereien haben ein sehr viel größeres Marktgewicht, wenn es um Preisabsprachen geht. Sie sind aber wiederum auch getrieben vom Handel.
Wenn der Handel eine Milch-Preisrunde macht, ist es genau wie bei anderen Lebensmitteln: Oft läutet Aldi als erster die Preisrunde nach unten ein. Häufig folgt dann Lidl. Und dann sehr schnell auch Rewe, Edeka und all die anderen.
Der zweite Einfluss auf den Preis kommt natürlich durch den Weltmarkt. Da entscheiden die Börsen, wieviel die Milch kostet. Das hat natürlich mit Nachfrage zu tun. Aber wenn auf den Börsen spekuliert wird, dann schwanken die Preise auch unabhängig von der Nachfrage.

Zwei Männer arbeiten in einer automatischen Melkanlage

Mehr als 400 Milchkühe werden bei Bernd Schwinum täglich gemolken

WDR: Welche Rolle spielt die Politik in dem Konflikt?

Valentin Thurn: Die Politik in Deutschland  hat immer stark auf das Wachstum der Branche gesetzt, auf das agrarindustrielle Modell. Zwar erklären die zuständigen Minister in ihren Reden, dass sie auch die kleinen und mittelständischen Bauern schützen wollen. Aber de facto unterstützt die Politik - auch auf EU-Ebene  - das „Wachse oder Weiche“-Prinzip . Das prägt unsere Landwirtschaftsstruktur seit Jahrzehnten. Bei den Milchbauern heißt das, dass es Höfe mit weniger als 100 Kühen bald nicht mehr geben wird. Höfe mit 1.000 und mehr Kühen werden häufiger werden.

WDR: Und die Bauernverbände?

Valentin Thurn: Der Bund Deutscher Milchbauern vertritt die meisten Milchbauern, und er wehrt sich gegen das Wachstum um jeden Preis. Damit kommt er allerdings in Konflikt mit dem Deutschen Bauernverband. Der ist der Meinung, die Marktwirtschaft wird es schon richten. Er sagt: Wenn die Preise sinken, müsst ihr eben wachsen. Die Milchbauern haben sich bislang dagegen gewehrt und sagen: Es geht um lebendige Tiere. Wir wollen sie anständig behandeln. Wir wollen ein Modell haben, bei dem wir dafür einen fairen Preis bekommen.
Auch wenn die Milchquote 2015 fällt, kämpfen sie dafür, dass eine Existenzsicherung für kleinere Bauern betrieben wird. Sie sagen:  Wir haben gesellschaftliche Aufgaben, wir sorgen dafür, dass es Wiesen gibt in unserem Mittelgebirgen. Wenn wir nicht mehr da sind, verschwinden die auch.

WDR: Was kann der Kunde tun? Bringt es etwas, im Biosupermarkt einzukaufen, wenn ich kleine Erzeuger unterstützen will?

Valentin Thurn: Ich kann die kleinen Milcherzeuger unterstützen, in dem ich faire Milch kaufe. Zum Beispiel die Milch der Upländer-Bauern-Molkerei. Deren Milch gibt es landesweit in vielen Supermärkten. Aber leider gibt es die faire Milch nicht überall, auch nicht in jedem Biomarkt, vielleicht etwas häufiger noch in Bayern.
Biomilch ist nicht immer auch faire Milch. Die Bio-Molkerei Söbbeke wurde zum Beispiel gerade von dem französischen Molkerei-Giganten Bongrain geschluckt. Die Multis kaufen derzeit auf, was nicht niet- und nagelfest ist. Der Markt wird bald nur noch von wenigen ganz Großen beherrscht sein, auch in der Biobranche. Ich kann da als einzelner Verbraucher nur bedingt etwas ausrichten. Im herkömmlichen Supermarkt bekomme ich regional erzeugte Milch in aller Regel gar nicht.
Es gibt zwar ein paar Milchtankstellen auf den Höfen, aber für Städter sind sie selten in der Nähe. Den Bauern wird zudem regelrecht verboten, außerhalb ihres Hofes Milch direkt zu verkaufen. Der Markt wird aus vorgeblich hygienischen Gründen abgeschottet.
Als Verbraucher habe ich bei Käse in einigen Bioläden inzwischen eine ganz gute regionale Auswahl. Ich kann dort auch andere regionale Lebensmittel finden, aber Milch kaum. Auch weil sie schlecht haltbar ist. Es gibt noch die Vorzugsmilch in den Reformhäusern. Aber die allerbeste Milch in punkto Qualität ist Heumilch. Die gibt es aber meines Wissens nur im Allgäu und im Spreewald. Die Berliner bekommen von der so genannten „Gläsernen Molkerei“ eine Heumilch, bei der garantiert ist, dass die Kühe nur Gras und Heu gefressen haben.

WDR: Waren die Recherchen zu Ihrem Film schwierig? Gab es Widerstände?

Valentin Thurn: Ziemlich schwierig war es beim Verband der Milchindustrie. Die sind als Lobby eigentlich dafür da, Auskunft über ihre Branche zu geben. Sie haben sich allerdings sehr geziert und wollten vorher ganz genau wissen, was wir sie fragen wollen. Sie fühlen sich durchaus in der Kritik und wollen sich absichern. Erst auf wiederholte Nachfrage bekamen wir ein Gespräch.
Am schwierigsten ist es aber bei den Discountern. Aldi und Lidl geben eigentlich nie Interviews. Man bekommt höchstens etwas Schriftliches. Das sind aber diejenigen, die für die Pressspirale nach unten verantwortlich sind. Da hätten wir schon gerne gefragt, wie sie den Preisdruck auf kleine Erzeuger mit ihrem Gewissen vereinbaren. Denn der ist letztlich die Triebfeder, die bei uns die Landwirtschaft verändert in Richtung weniger Nachhaltigkeit.

Das Interview führte Alexander Haas.