Hassprediger auf Tournee
Stand: 24.03.2016, 18:00 Uhr
Zwei Auftritte von Salafistenpredigern am Wochenende in Duisburg und Essen wurden abgesagt. Trotzdem stehen die betroffenen Moscheevereine massiv in der Kritik. Warum können Hassprediger oft unbehelligt auftreten? Möglicherweise weil Muslime sehr dezentral organisiert sind.
Welche Hassprediger sollten in Duisburg und Essen auftreten?
Nach Auskunft des NRW-Innenministeriums vom Donnerstag (24.03.2016) sollten der in Deutschland bekannte belgische Hassprediger Tarik Chadlioui, bekannt unter dem Namen Tarik Ibn Ali, sowie der Imam Abdelkader Chouaa in Moscheevereinen in Duisburg und Essen auftreten. Tarik Ibn Ali empfiehlt Frauen in einem YouTube-Video zum Beispiel: "Ich will für Euch das Paradies. Ich will für Euch den Segen. Den gibt es nur im Glauben - nicht im Ausgehen, nicht im Autofahren oder im Shoppen. So will es unser Glaube." Sigrid Herrmann-Marschall, Lokalpolitikerin (SPD) in Offenbach, Bloggerin und jahrelange Kennerin der Salafistenszene, sagt: "Tarik ist nicht der harmlose Wanderprediger, den er gern gibt. Schaut man genauer hin, sieht man, dass er bei diesen Gelegenheiten erhebliche Geldsummen einsammelt. In Dietzenbach in Hessen waren es zum Beispiel 91.000 Euro - Geld, das dann direkt nach Syrien transferiert wird." Ali steht laut einem Bericht der britischen "Daily News" auch unter dem Verdacht, Omar Mostefai, einen der Attentäter vom Pariser Bataclan, radikalisiert und aufgehetzt zu haben.
Wie arbeiten Hassprediger?
Hassprediger rufen zu Hass und Gewalt auf - in Moscheen, in denen das auf fruchtbaren Boden fallen kann. Zurzeit können Prediger wie Tarik Ibn Ali relativ frei herumreisen, viele Moscheen besuchen und Gläubige in der marokkanischen Diaspora vernetzen. "Die Szene lässt sich mit einem Topf voller Popcorn vergleichen. Die Hassprediger drehen die Temperatur ordentlich hoch, und man weiß nicht, welches Korn wann hochpoppt. Ich halte diese Prediger für außerordentlich gefährlich und bisher unterschätzt", sagt die Politikerin Sigrid Herrmann-Marschall. Prediger wie Tarik Ibn Ali und der Imam Abdelkader Chouaa verbreiten eine strikte, fundamentalistische und angeblich ursprungsnahe Deutung des Islams. "Sie besuchen sowieso schon Moscheen, die sehr konservativ eingestellt sind und bereiten den Boden für Muslime, die dann nach Syrien gehen oder anders auffällig werden." Rund die Hälfte der marokkanisch-stämmigen Sunniten habe nach Angaben von Sigrid Herrmann-Marschall fundamentalistische Ansichten.
Wie sind Muslime in Deutschland organisiert?
Die Szene ist deswegen so unübersichtlich, weil Muslime weniger in religiösen Vereinen oder Gemeinden organisiert sind als die Angehörigen anderer Religionen - obwohl Religiosität und die religiöse Praxis bei Muslimen stark ausgeprägt sind. Nach Angaben der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" (2008) des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind nur 20 Prozent der rund vier Millionen Muslime in religiösen Vereinen oder Gemeinden organisiert. Die in der Deutschen Islamkonferenz vertretenen islamischen Verbände repräsentieren jedoch bei weitem nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland. "Weniger als 25 Prozent der Muslime fühlen sich ohne Einschränkung von den in der DIK vertretenen islamischen Dach- und Spitzenverbänden vertreten", heißt es in der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland".
In der Deutschen Islamkonferenz (DIK) sind verschiedene islamische Verbände vertreten. Dazu gehören zum Beispiel
- die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DİTİB), die rund 700 bis 900 Gemeinden vertritt
- der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), der rund 300 Gemeinden vertritt
- der Verein islamischer Kulturzentren (VIKZ), der rund 300 Moschee- und Bildungsvereine vertritt
- die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF), die rund 120 Ortsgemeinden vertritt
- der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD), der rund 400 Gemeinden vertritt
Wie werden Vereine und Gemeinden kontrolliert?
Das Innenministerium betonte, die Polizei werde am Wochenende trotz der Absagen die Szene beobachten. "Wir haben die salafistische Szene in ganz NRW im Blick, auch im Hinblick auf die Entwicklung in Duisburg und Essen", sagte ein Ministeriumssprecher. In Duisburg erklärten Oberbürgermeister Sören Link (SPD) und der Vorsitzende des Integrationsrates, Erkan Üstünay: "Wir brauchen keine religiösen Hetzer in unserer Stadt. Radikale Einstellungen, gleich ob religiös oder politisch motiviert, schaden dem friedlichen Zusammenleben in Duisburg."
Stephan Humer, Soziologe in Berlin, betont, dass diese Aufgabe nicht komplett den Behörden übertragen werden kann. "Wir alle müssen unsere Werte und unsere Demokratie aktiv verteidigen und dem Hass entgegentreten." Dafür könne man Zivilcourage zeigen oder an Demonstrationen teilnehmen.