"Rechtsfreie Räume" in NRW: Was macht der Essener Norden?

Stand: 02.03.2016, 18:15 Uhr

Im Sommer 2015 sorgte die Diskussion um rechtsfreie Räume in NRW für Schlagzeilen. Wir waren damals auf Spurensuche in Dortmund, Essen, Duisburg und Leverkusen. Zeit für ein Update: Wie sieht es aktuell im Essener Norden aus?

Die Ausgangslage

Vor einem halben Jahr haben wir über die Situation im Essener Norden berichtet: Libanesische Großfamilien hatten clanähnliche Strukturen aufgebaut und auch in anderen Städten warnte die Polizei vor "rechtsfreien Räumen" - vor allem Stadtteile mit hohem Zuwandererpotenzial seien betroffen.

In Altenessen galt die Gegend um den Bahnhof als Problemviertel, die Bewohner fürchteten Schlägereien, Drogenhandel und Diebstähle. Die Stadt hatte mit dem "Aktionsbündnis sicheres Altenessen" (AsA) auf die Kriminalität reagiert: Das Netzwerk aus Polizei, Sozialarbeiten, Jugendamt und Schulen stellte den Stadtteil unter Beobachtung, suchte damals schon Kontakt zu den Bürgern und bietet Hilfestellungen für Kinder und Jugendliche.

Gegen kriminelle Aktivitäten wird hart durchgegriffen, Polizei und Justiz arbeiten eng zusammen, ziehen schnell und kompromisslos Strafverfahren durch, machen Meldungen an das Jugendamt und die Eltern. Eine zähe Aufgabe sei das, sagte uns damals Susanne Skorzik von der Essener Polizei.

Was hat sich seither getan in Altenessen?

Jetzt, über ein halbes Jahr später, zeige das Aktionsbündnis Erfolge, sagt Theo Jansen, Mitglied im SPD-Ortsverein Essen-Altenessen und Begründer einer Bürgerinitiative, die sich dafür einsetzt, mehr Flüchtlingsheime auch im Süden der Stadt einzurichten statt im Norden. Die Probleme rund um den Bahnhof Altenessen seien zurückgegangen, beobachtet er: "Man hat die Lage mittlerweile im Griff. Hier scheint es sich zu beruhigen."

Auch AWO-Sozialarbeiter Thomas Rüth erkennt einen deutlichen Rückgang der Jugendstraftaten, Aktivitäten jugendlicher Intensivtäter gebe es auch nicht mehr. Aber, bei unseren Recherchen wird schnell klar: Inzwischen hat sich eine neue Baustelle in Essen Altenessen aufgetan.

Zusätzliche Probleme durch die Flüchtlingskrise

Der strukturschwache Norden der Stadt war gerade dabei, die Kriminalität erfolgreich in den Griff zu kriegen - jetzt ist dieser Bereich der Stadt stark durch die Unterbringung von Flüchtlingen belastet. "Wenn hier keine entscheidenden Schritte gemacht werden, fangen die Probleme wieder ganz von vorne an", warnt Sozialarbeiter Rüth.

Seine Forderung: Den "Königsteiner Schlüssel", der die Verteilung von Asylbewerbern in Deutschland regelt, für ohnehin mit einem hohen Migrationsanteil belastete Kommunen wie Essen auszusetzen. Sonst komme man eine Grenze, die den sozialen Frieden gefährde. SPD-Mann Jansen warnt: Alles was bislang in puncto Integration und Sicherheit mühsam erreicht wurde, stünde auf dem Spiel.

Die Bevölkerung einbeziehen

Wenn Immigration und Integration Hand in Hand gehen sollten, dürften keine Massenunterkünfte von 400 bis 800 Menschen in ein strukturschwaches Gebiet gesetzt werden, so Jansens Forderung. Er spricht sich für eine Unterbringung in kleineren Wohneinheiten mit maximal 50 bis 60 Menschen aus. Auch die südlichen Stadteile müssten Asylbewerber aufnehmen. "Dann wird auch die Integration funktionieren." Sozialarbeiter Rüth empfiehlt, subjektive Ängste in der Bevölkerung ernst zu nehmen. Es helfe nicht, sie niederzuargumentieren. "Man muss hinhören und mit den Menschen in Kontakt bleiben."

Wendezeit in Deutschland

Mit rund 35 neuen Flüchtlingen, die Essen pro Tag aufnehmen muss, kommen die Flüchtlingskapazitäten der Stadt an ihre Grenzen. Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) zeigt sich trotzdem optimistisch: "Ich glaube, jedem ist bewusst, dass es eine Wendezeit ist. Eine Zeitenwende für die Bundesrepublik Deutschland. Es ist klar, dass sich etwas verändern wird. Jetzt geht es darum, diesen Wandel zu gestalten. Aber das können wir im Ruhrgebiet. Wichtig ist, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen."

Einen kleinen Erfolg konnte Altenessen Ende Februar verbuchen. Der Rat der Stadt hat einen Kompromiss im Essener Flüchtlingsstreit beschlossen: Die Unterkünfte für Flüchtlinge sollen kleiner werden - und neue Heime sollen nicht nur im Essener Norden, sondern auch im wohlhabenderen Süden entstehen.