Warum es richtig ist, Attentäter nicht zu zeigen
Stand: 27.07.2016, 18:25 Uhr
Wenn Medien detailliert über Attentäter oder Amokläufer berichten, kann das zu einer Gefahr werden, warnt der Strafrechtler und Kriminologe Professor Dr. Henning Müller. Das Problem: Werden sie durch ihre Tat berühmt, können sie für potenzielle Nachahmer zum Vorbild werden.
Aktuelle Stunde: Warum ist es so gefährlich, wenn die Medien Bilder des Täters zeigen und seinen Namen nennen?
Henning Müller: "Die Tat ist damit für Amokläufer und Attentäter die Chance, es bis auf alle Titelseiten zu schaffen und Berühmtheit und Aufmerksamkeit zu erlangen. Das wollen sie, weil sie sich oft von ihrem sozialen Umfeld verkannt fühlen. Diese mediale Aufmerksamkeit wiederum kann Anreiz für andere potenzielle Täter sein, die genau diesen Effekt auch für sich wiederholen oder sogar übertreffen zu wollen."
Aktuelle Stunde: Das heißt, den Tätern geht es vor allem darum, sich unvergesslich zu machen?
Müller: "Das konnte in vergleichbaren Fällen als eines der Tatmotive ermittelt werden. Die Täter wollen, dass die ganze Welt von ihnen spricht. Für kritisch halte ich es etwa auch, dass der Eiffelturm nach der Tat in München in schwarz-rot-gold angestrahlt wurde. Bei einer politischen Tat kann dieses Solidaritätszeichen angebracht sein - in diesem Fall erhöht es aber die Berühmtheit des Amoktäters und kann bei anderen den Gedanken auslösen: 'Wenn ich den Abgang mache, dann auch so.'"
Aktuelle Stunde: Medien können also ganz konkret durch ihre Berichterstattung Anreize für Gewalttaten schaffen?
Müller: "Auf jeden Fall können sie dazu beitragen, wenn der potenzielle Täter schon Gedanken in diese Richtung hatte. Es ist ja auch bekannt, dass der Münchner Attentäter Winnenden besuchte und sich über andere Taten informierte. Im Internet kann jeder die Informationen über die Täter finden und verbreiten."
Aktuelle Stunde: Welche Rolle müssen hier gerade die Medien einnehmen?
Müller: "Medien können die Verbreitung von Bild und Namen nicht verhindern, aber sie können sie schon ziemlich einschränken, wenn sie nicht auf den Zug aufspringen. Oft sind es eben doch Journalisten, die direkt Informationen über die Täter recherchieren und verbreiten."
Aktuelle Stunde: Die französische Zeitung Le Monde will ab sofort keine Täterbilder mehr zeigen. Der richtige Schritt?
Müller: "Ja - das sollten alle seriösen Medien so handhaben. Spätestens seit Winnenden gab es zumindest in der deutschen Medienlandschaft eigentlich den Konsens, Täter nicht mehr identifizierbar zu machen. In den Empfehlungen des Presserats wurde das nicht so deutlich verankert, es wäre dennoch die richtige Methode."
Aktuelle Stunde: Welchen Appell würden Sie an die Medien und Journalisten richten?
Müller: "Die Tat wieder anonymer machen und zu desensationalisieren. Wenn der Täter keinen 'Ruhm' mehr bekommt und kein 'negativer Held' wird, dann geben die Medien potenziellen Nachahmern kein zusätzliches Motiv an die Hand."
Das Interview führte Katrin Puvogel.
Prof. Dr. Henning Müller ist Lehrstuhlinhaber für Kriminologie und Strafrecht an der Universität Regensburg, Fakultät Rechtswissenschaften. Er beschäftigt sich mit Amok und Schulmassakern und fordert, Tätern keine mediale Bühne zu bieten.