"Big Data ist nicht Schuld am Populismus"
Stand: 08.12.2016, 12:26 Uhr
Selten wird ein Text so häufig geteilt wie der über Michal Kosinskis Forschung: In dem Artikel wird beschrieben, was seine Arbeit mit dem Wahlsieg von Donald Trump zu tun gehabt haben könnte. Wir haben mit ihm am Donnerstag (08.12.2016) gesprochen und erfahren: Kosinski ging es in seinem Projekt vor allem um einen bewussteren Umgang mit Daten.
Aktuelle Stunde: Der Zusammenhang zwischen Ihrer Forschung und dem Wahlsieg von Donald Trump, den ein Artikel im Schweizer "Tagesanzeiger" herstellt, ist einer der meistgeteilten Artikel in den letzten Tagen. Jeder scheint darüber zu sprechen. Haben Sie damit gerechnet?
Michal Kosinski: Es ist schon interessant, denn über das Thema spreche ich seit vielen Jahren. Ein bisschen Aufmerksamkeit hat das zwar schon erregt, vor allem in den USA. Aber in Europa hat das eigentlich nie jemanden interessiert. Dass der Artikel über mein sehr nettes Gespräch mit Hannes Grassegger mehr als zweimal bei Facebook geteilt werden würde, hätte ich nicht erwartet. Ich denke, das liegt aber vor allem daran, dass Hannes gute Geschichten schreibt – wenn auch vielleicht ein bisschen überdramatisch.
Aktuelle Stunde: Sind Sie glücklich über die Aufmerksamkeit, die den Daten - und was man damit machen kann - nun geschenkt wird?
Kosinski: Ich denke, diese Aufmerksamkeit ist sehr wichtig, weil sie dafür sorgt, dass Menschen die wahren Konsequenzen erkennen, die der Mangel an Privatsphäre hat. Der Artikel hat suggeriert, wie bestimmte Dinge bei Cambridge Analytica abgelaufen sein könnten – ob das wirklich stimmt, weiß ich aber nicht. Auf ihre Daten habe ich auch keinen Zugriff.
Ein wirklich wichtiger Aspekt ist aber, was jetzt möglich ist: Für eine große Gruppe von Menschen kann ich auf einem individuellen Level sehr genau Voraussagen über ganz private Dinge machen, wie eben die politische Sicht, Religion, Persönlichkeit, IQ und sexuelle Orientierung.
Die freie Welt lässt uns schnell unsere Sorgen vergessen. Aber wir müssen uns an sie erinnern: Aktuell leben wir zwar in einer sehr glücklichen Zeit, aber wer weiß, was in zehn Jahren ist? Wenn das nächste totalitäre Regime Leute beeinflussen will oder sie wegen ihrer Religion oder politischer Sicht ausschließen will, kann es diese Leute leicht finden – mit einem Mausklick.
Aktuelle Stunde: Sehen Sie eine Gefahr für unsere Demokratie?
Kosinski: Die Frage übersteigt wohl, woran ich als Psychologe arbeite. Aber meine persönliche und nicht-wissenschaftliche Meinung ist, dass ein wichtiger Grundsatz unserer Demokratie ist, dass wir Informationen frei teilen können – es aber nicht müssen. Wenn es sicher ist, die persönliche Meinung, die Religion oder politische Einstellung zu teilen, ist das gut. Doch es muss die Möglichkeit geben, Informationen zurückzuhalten.
Überlegen Sie sich, wie wütend Menschen wären, wenn etwa die deutsche Regierung sagen würde: Von jetzt an speichern wir auf dem Personalausweis Religion, sexuelle Orientierung und politische Einstellung. Da gäbe es Protest ohne Ende, das würde niemand akzeptieren. Aber wenn wir den Leuten sagen: Eure Spotify Playlist gibt uns detaillierte Informationen über genau diese Dinge und noch viel mehr, dann sagen die Leute: "Ach, mir doch egal."
Wir haben ganz unterschiedliche Standards. Ich halte das für ganz natürlich: Die Geschichte hat uns gelehrt, dass staatliche Unterlagen oder Ausweise genutzt werden können, um Menschen zu unterdrücken. Aber Spotify, Facebook oder Twitter sind neue Erfindungen – und die Menschen sehen darin dieses wunderbare Spielzeug, aber sie wenden nicht dieselben Regeln wie für ältere Formen von Technologie an.
Aktuelle Stunde: Sie denken also, die Menschen sollten auf die Straße gehen und protestieren?
Kosinski: Nun, ob sie dafür auf die Straße gehen müssen, weiß ich nicht. Aber ich hoffe, dass sie mit ihrer Stimme bei der Wahl die Menschen unterstützen, die motiviert sind, die Privatsphäre zu schützen. Und dass sie mit ihrem Geld oder ihren Klicks die sozialen Netzwerke und Firmen wählen, die Wert auf Privatsphäre legen.
Es gibt keinen technologischen Grund dafür, dass etwa Facebook die Daten der Nutzer auf Servern speichert. Vor 20 Jahren musste man das, aber heute erlauben etwa Cloud-Technologien einen viel privateren Austausch. Aber weil es den Nutzern egal ist, speichert Facebook weiter die Daten.
Aktuelle Stunde: Die Methode, die Sie entwickelt haben, nutzt die Informationen, die Nutzer Ihnen in einem freiwilligen Test bei Facebook gegeben haben. Sie verdienen damit kein Geld. Unterscheidet Sie das von Cambridge Analytica?
Kosinski: Ich habe mit Freiwilligen gearbeitet, die mir bei meiner wissenschaftlichen Arbeit helfen wollten. Und ich habe diese Daten anonymisiert und nicht verkauft. In meinen Publikationen habe ich den Fokus darauf gelegt, zu zeigen was möglich ist, warum das gefährlich ist und dass wir darauf achten müssen, wie Firmen das nutzen können.
Meine Verbindung mit Cambridge Analytica ist also, dass sie das nutzen, was ich als möglich beschrieben habe. Und ich bin mir sicher, dass andere Firmen das ebenso machen. Die Leute können jetzt sagen: Cambridge Analytica ist eine böse Firma. Aber wenn wir ganz ehrlich sind: In einer Umgebung, wo die Daten nicht geschützt sind, wird es eine Firma geben, die das für sich nutzt. Anstatt also die Firma zu verurteilen, sollten wir uns eher fragen, warum unsere Politiker noch nicht so weit sind, uns davor zu schützen.
Aktuelle Stunde: In dem Artikel hieß es, Sie hätten gezeigt, dass es die Bombe gibt, aber Cambridge Analytica habe die Bombe gebaut. Sehen Sie sich selbst auch so?
Kosinski: Das ist wirklich sehr schmeichelhaft, aber so sehe ich mich nicht. Ich habe übliche Methoden bewusst kombiniert. Der wichtige Aspekt ist vielmehr: Es ist nicht schwer diese Modelle zu bauen. Die Grundlagen dafür lernen Sie vermutlich im ersten Semester Informatik.
Ich habe keine magische Methode erfunden, im Gegenteil: Als ich meinen Bericht veröffentlicht habe, haben Firmen schon lange so gearbeitet. Mein Ziel war, der Öffentlichkeit zu zeigen, was möglich ist und warum wir uns darüber Gedanken machen müssen.
Aktuelle Stunde: Dass Leute Sie mit dem Wahlsieg von Donald Trump verbinden, entspricht also nicht dem, wie Sie sich selber sehen?
Kosinski: Ich bin mir nicht sicher, dass sie das wirklich machen. Aber wenn das nun dazu führt, dass sich die Leute mehr für dieses Thema interessieren, dann ist das gut. Vielleicht sorgt diese große Aufmerksamkeit auch dafür, dass wir bewusster mit Daten umgehen.
Aktuelle Stunde: Ist dies ein Beispiel für die Nachteile von neuer Technologie?
Kosinski: Ich weiß nicht, was genau Cambridge Analytica gemacht hat und wie erfolgreich ihre Methoden wirklich waren. Aber ein wichtiger Punkt über Big Data hinaus ist, dass wir jetzt einen Schuldigen für den Sieg von Trump, den Aufstieg rechter Parteien oder den Brexit finden wollen. Und Big Data zu beschuldigen ist leicht – aber ich halte das für Blödsinn.
Big Data ist ganz offensichtlich nicht der Grund für den Aufstieg von Populismus. Vielmehr geht es hier um Eliten, die es nicht geschafft haben, auf die Menschen zu hören und ihnen zu erklären, wie sie vorgehen und was sie denken.
Die Debatte um rechte Ansichten und Populismus in den sozialen Netzwerken halte ich für Blödsinn. Ich glaube eher, dass die Eliten in ihren Elfenbeintürmen in den großen Städten erst jetzt realisieren, dass der Rest des Landes auch bei Facebook ist.
Ich finde das großartig, denn diese Offenlegung in den sozialen Netzwerken kann zu mehr Dialog führen – und vielleicht lernt die Politik dann, darauf aufzubauen und von der anderen Seite zu lernen. Vielleicht hat Big Data einen Einfluss auf die Wahlen gehabt - vielleicht. Aber Big Data zu beschuldigen für einen Wahlausgang oder den Brexit: Das ist dumm.
Das Interview führte Julia von Cube.