Wolf blickt in die Kamera

Faszination Wolf

Stand: 04.04.2016, 15:48 Uhr

Im Märchen ist er der böse Wolf. In der Realität bangen Schäfer seit der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland um ihre Herde, so mancher Spaziergänger fürchtet um seine Sicherheit. Gleichzeitig fasziniert uns das Raubtier. Ein Wolfsexperte erklärt warum.

Eine vermeintliche Wolfssichtung im Kreis Gütersloh - und der Wolf ist in aller Munde. Befürworter und Gegner der Wiederansiedlung von Wölfen in Deutschland tauschen sich emotional aus - mal mehr, mal weniger sachlich. Was macht der Wolf mit uns, warum reizt uns das Thema so? Wolfsexperte Markus Bathen vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) führt uns im Interview auf die Spur des Wolfes.

Aktuelle Stunde: Warum ist der Wolf für uns Menschen so faszinierend?

Markus Bathen: Der Wolf ist das älteste Haustier, das es gibt. Er ist der Urahn des Hundes und wurde vor 25.000 Jahren, lange bevor Schafe und Ziegen gezüchtet wurden, gehalten. Mit keinem anderen Tier hat der Mensch eine so lange Kultur wie mit dem Wolf. Das schlägt sich auch deutlich in unserer Sprache nieder. Kein anderer Tiername taucht so häufig auf: in Vor- und Nachnamen, als Siedlungs- oder Städtebezeichnungen, in Namen für bestimmte Gegenden, in Märchen und Geschichten - zum Beispiel in der mythologischen Gründungsgeschichte von Rom, in der die Gründer der Stadt von einer Wölfin gesäugt wurden.

Aktuelle Stunde: Gibt es Gründe, warum der Mensch so früh Interesse am Wolf hatte?

Bathen: Biologisch betrachtet gibt es kaum ein anderes Tier, das in seiner Organisationsform dem Menschen so nahe kommt. Wie in den meisten menschlichen Strukturen ist es das Patriarchat. Wölfe leben in einer monogamen Ehe, an der Spitze stehen ein Männchen und ein Weibchen. Die bilden mit ihren Nachkommen ein Wolfsrudel. Ein Rudel ist also immer eine Familie, Eltern und die verschieden alten Geschwister. Dieses Schema passt perfekt zur menschlichen Geschichte. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum man angefangen hat, den Wolf zu domestizieren.

Aktuelle Stunde: Wie kommt es dann in unseren Märchen zum Bild des "bösen Wolfes"?

Bathen: Da hat es den Wolf einfach als den Bösen erwischt. Keine Kultur weltweit kommt ohne die Versinnbildlichung von Gut und Böse aus. Bei uns ist das Teil unserer germanischen Geschichte: Der Kriegs- und Totengott Wodan wird von zwei Wölfen und zwei Raben begleitet. (Anmerkung der Redaktion: die Wölfe Geri und Freki, der Gierige und der Gefräßige, und die Raben Hugin und Munin, Gedanke und Gedächtnis/Erinnerung). Die negative beziehungsweise positive Besetzung wird beim Vergleich von Wolf und Fuchs im Märchen deutlich. Der Wolf holt das Schaf und ist deshalb böse. Der Fuchs holt sich die Gans und gilt dadurch als schlau.

Aktuelle Stunde: Hat die Faszination Wolf auch ein wenig von einem wohligen Schauer?

Bathen: Ja, die Lebensweise des Wolfes ist dazu geeignet, Ängste zu schüren. In Deutschland kommt ein Wolf auf 30 Quadratkilometer. Die Chance, ihm zu begegnen, ist statistisch gesehen sehr gering. Dazu ist der Wolf nachtaktiv, ist also vorzugsweise in der Dunkelheit unterwegs und jagt nachts. So bleibt er selbst meist unsichtbar. Nur seine Aktionen werden sichtbar, wenn zum Beispiel am Morgen ein totes Tier auf der Wiese liegt. Dann wird jedem klar: Den gibt's hier, der war in meiner Nähe unterwegs. Das ist wie bei Dieben: Man weiß, dass es sie gibt. Wirklich real werden sie aber erst, wenn bei einem eingebrochen wurde. Dabei ernährt sich der Wolf nur, aber wir belegen ihn mit einer Straftat, nämlich als Räuber, als Raubtier. Vielleicht spielt dabei auch der Wolf als direkte Konkurrenz um unsere Nahrung eine Rolle.

Aktuelle Stunde: Es gibt Hunderassen, in die wieder Wölfe hineingekreuzt wurden, sogenannte Wolfshunde. Warum erfreuen die sich neuerdings so großer Beliebtheit?

Bathen: Es gibt eine Sehnsucht nach dem Wolf. Auch, weil die Wölfe nach Deutschland zurückkommen und sie mehr Aufmerksamkeit bekommen. Dazu kommt der Drang "zurück zur Natur". Aber außer im Zoo kann man Wölfe nicht sehen. Eine Möglichkeit ist da, sich einen Retortenwolf ins Haus zu holen.

Das Interview führte Ulrike Wolff.