Was ich euch sagen möchte

"So erkennen wir, wann jemand wie ein Nazi tickt"

Stand: 19.10.2015, 17:00 Uhr

Serdar Somuncus Buch "Der Adolf in mir" passt in die Zeit von Pegida und fremdenfeindlichen Aussagen, die sich auf Straßen und im Netz derzeit Bahn brechen. Der deutsch-türkische Kabarettist hat sich Gedanken über den verschärften Ton in der Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen gemacht.

Aktuelle Stunde: "Der Adolf in mir" heißt Ihr neues Buch. Ist der Titel Provokation oder steckt tatsächlich in jedem von uns ein kleiner Nazi?

Serdar Somuncu: Der Titel bezieht sich auf meine innere Auseinandersetzung und die Suche nach Spuren sowohl in meiner als auch in der deutschen Biografie. Gibt es heutzutage Anklänge an diese Ideologie und wenn ja, wie gehen wir damit um? Letztlich bin ich fündig geworden. Überall gibt es in Deutschland auch heute noch Verbindungen zu dieser Zeit. Sei es in Form einer Gedenkstätte oder aber auch im Sprachgebrauch, wie zum Beispiel etwas bis zur "Vergasung" zu tun. Aber es geht auch nicht darum, ob in jedem von uns ein Nazi steckt. Sondern vielmehr darum, wie wir erkennen, ab wann jemand wie ein Nazi denkt.

Aktuelle Stunde: Das Buch ist entstanden aufgrund Ihrer Erfahrungen aus Lesereisen zu Adolf Hitlers "Mein Kampf". Welche Erfahrungen haben Sie bei den Lesungen gemacht?

Somuncu: Ich habe so viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht und darüber auch ein Buch geschrieben, dass es nicht ausreichen würde, diese in ein paar Zeilen zusammenzufassen. Nur so viel: Es waren neben den erschreckenden Momenten auch sehr bereichernde Erlebnisse dabei. Vor allem der Zuspruch ehemaliger Opfer war mir immer sehr wichtig.

Aktuelle Stunde: Wie nah ist die heutige Sprache von Politikern oder anderen öffentlichen Personen an der des Nationalsozialismus?

Somuncu: Manchmal liegt sie sehr nah dran, wie beispielsweise bei Politiker Bernd Lucke, der von "Entartungen" der parlamentarischen Demokratie spricht. Manchmal sind es auch nur Tendenzen, die das Spiel mit dem Feuer zu einer unkalkulierbaren Sache machen. Grundsätzlich brauchen wir aber ein besseres Verständnis davon, was man in diesem Land sagt und wie man es formuliert.

Aktuelle Stunde: Wer nutzt ganz bewusst Argumente aus dieser Zeit und wer merkt es nicht mal?

Somuncu: Das ist variabel. Es können Islamisten genauso wie Hiphoper sein. Wer andere herabsetzt und diskriminiert, muss nicht immer politisch rechts sein Er kann auch unabhängig davon in verfängliche Nähe zu Nazipropaganda geraten.

Aktuelle Stunde: Mit welchen Auswirkungen?

Somuncu: Je intoleranter wir miteinander umgehen, desto unberechenbarer bleiben die Auswüchse unseres Verhaltens. Gerade das jüngste Beispiel um den Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin Reker zeigt, wo so etwas landen kann.

Aktuelle Stunde: Verschärft sich der Ton in der aktuelle Flüchtlingsdebatte?

Somuncu: Ja, und das war leider abzusehen. Denn so extrem wie wir für Zuwanderung waren, konnte diese Haltung innerhalb so kurzer Zeit nicht entstanden sein. Schließlich haben wir vor wenigen Monaten noch über schärfere Gesetze zur Begrenzung von Zuwanderung debattiert. Diese plötzliche Reaktion schien also eher ein Trend zu sein, als eine Erkenntnis, die aus Vernunft entstanden ist. Jetzt geht es wieder in die andere Richtung.

Aktuelle Stunde: Haben die Menschen, die gegen Flüchtlinge protestieren, einfach nur Angst? Oder sind die Grundüberzeugungen tatsächlich nationalsozialistisch?

Somuncu: Die Gründe mögen unterschiedlich sein, aber sie sind so lange affektgesteuert, wie wir unseren eigenen Anteil an dieser Krise nicht sehen wollen. Wir haben jahrelang weggeschaut vor Kriegen und Ausbeutung - und jetzt kommt das alles auf uns zurück.