Freihandelsabkommen TTIP

TTIP: Fluch oder Segen?

Stand: 21.05.2015, 14:57 Uhr

  • Das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP spaltet
  • Befürworter hoffen auf Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze
  • Gegner befürchten Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten und Verwässerung der Umweltstandards

Es geht um die größte Freihandelszone der Welt. "Ein Land wie Deutschland muss daran interessiert sein", findet der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel. "Wir fordern, dass die Bundesregierung dieses TTIP aussetzt, dass dieses TTIP gestoppt wird", sagt die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter. "Es wird keinen Import aus Amerika von Chlorhühnchen geben", beschwichtigt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Ja was denn nun? Ist TTIP Fluch oder Segen? Wir haben für unser Pro und Contra zwei gefragt, die sich auskennen: Michael Hüther, Wirtschaftsforscher und Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, und Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler und von 2001 bis 2009 Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW). Ökonom gegen Ökonom.

Arbeitsmarkt

Experten gehen davon aus, dass europaweit in den kommenden 15 Jahren bis zu 400.000 neue Jobs durch TTIP entstehen könnten. 100.000 neue Arbeitsplätze sollen dadurch in Deutschland entstehen, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Gegner von TTIP warnen vor einer Aushöhlung von hart erkämpften Arbeitnehmerrechten. 

Michael Hüther: "Sie werden das ja nie überprüfen können, denn die Vergleichssituation ohne Binnenmarkt und ohne TTIP haben wir nicht. Wir wissen doch aber, dass das Senken von Handelshemmnissen und das Öffnen von Investitionsmöglichkeiten mehr Raum für wirtschaftliche Aktivität geben. Das heißt: mehr Wettbewerbsfähigkeit und am Ende auch mehr Arbeit und Einkommen."

Rudolf Hickel: "In der europäischen Union und in Deutschland haben wir ein Tarifvertragssystem, ein Streikrecht und ein Mitbestimmungsrecht. Das gibt es in den USA nicht. Das, was wir in Europa als Schutz für die Beschäftigten haben, gilt in den amerikanischen Konzernen als Kostenfaktor – und deshalb ist die Logik von TTIP, das alles irgendwie abzubauen."

Verbraucherschutz

TTIP-Befürworter betonen immer wieder, dass die europäischen Qualitätsstandards bei der Lebensmittelherstellung und -kontrolle bleiben, wie sie sind. Dabei haben sich in den USA hormonell behandeltes Fleisch, Gentechnik in der Landwirtschaft wie etwa beim Mais, Klonrinder und das mittlerweile bei uns berühmte Chlorhühnchen seit vielen Jahren etabliert. In der EU ist all dies bislang verboten, genveränderte Lebensmittel müssen gekennzeichnet werden. Die Befürchtung: Per Kennzeichnung könnten Chlorhühnchen und Hormonfleisch so doch noch auf EU-Tischen landen.

Michael Hüther: "Erst einmal stimmt die Grundannahme nicht, dass die europäischen Regeln immer höher sind als die amerikanischen. Das ist eine bornierte Sicht, die wie nur in Deutschland finden und eine unheimliche Arroganz. Es ist ja nicht so, dass die Amerikaner sich alle freiwillig vergiften. Was ich will, ist eine klare Kennzeichnung, eine klare Information darüber, was das für ein Produkt ist, wo es herkommt und unter welchen Bedingungen es produziert wurde. Dann will ich selbst entscheiden. Warum muss mir vorab jemand die Möglichkeit einer Entscheidung einschränken?"

Rudolf Hickel: "Ich bin ganz sicher, dass am Ende in den USA niemand nachgibt und sagt: Wir können ja mal überlegen, ob wir unsere Standards erhöhen. Die Logik ist, dass die Konzerne in Europa und den USA den Freihandel wollen. Und Freihandel heißt: Freie Beweglichkeit und das machen zu können, was die Konzerne wollen – und am Ende vor allem profitabel zu sein."

Umweltstandards

Krebserregend oder fortpflanzungsschädigend? Anders als in den USA sind in der EU viele Pflanzenschutzmittel nicht mehr zulassungsfähig, die EU-Grenzwerte für Chemikalienrückstände in Futtermitteln sind strenger als in den USA. Wie sollen die Regeln hier kompatibler werden?

Michael Hüther: "Hier ist die Aussage der EU-Kommission und der europäischen Politik klar: All die Dinge, die bei uns beispielsweise für die chemische Industrie oder für toxische Gifte geregelt wurden, bleiben. TTIP ist auch hier kein Regulierungsprogramm."

Rudolf Hickel: "Was am Ende herauskommt, ist ein massiver Druck darauf, erbgutbelastende Pflanzenschutzmittel und vieles mehr doch zuzulassen. Und wenn es dazu kommt, dann sage ich klipp und klar: Dann sollten wir TTIP einfach aufgeben."

Die Verhandlungen über TTIP sollen Mitte Juli in Brüssel fortgesetzt werden. Wie immer hinter verschlossen Türen.