#jesuischarlie - der Film

Interview mit den Machern

Stand: 01.09.2015, 14:47 Uhr

Es war am 7. Januar 2015 als Bewaffnete in der Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo elf Menschen töteten. Der Film "#jesuisCharlie: ein Hashtag und die Folgen" von Christian Dassel und Clemens Gersch erzählt die Geschichte des Attentats - und holt die Ereignisse nach NRW.

Welchen Blick bringt der Film, den wir vorher nicht hatten?

Christian Dassel: Man hat ja so immer seine Schwierigkeiten damit, wenn es um die Frage nach der Verantwortung für das Attentat geht. In der heißen Phase der Auseinandersetzung war das differenziert aber gar nicht möglich. Das Attentat war im Januar. Jetzt ist eine gewisse Zeit vergangen und man kann es in Ruhe besprechen und analysieren. Das war uns auch für den Film total wichtig. Wir haben deshalb zum Beispiel mit dem deutsch-iranischer Schriftsteller Navid Kermani gesprochen. Er sagt: "Der Islam hat da schon eine Verantwortung." Oder: "Wenn die Attentäter schreien ,Allah ist groß‘ und dann Leute umbringen. Dann muss der Islam sich da positionieren."

#jesuisCharlie hat auch einen NRW-Bezug.

Christian Dassel: Absolut. Nach dem Attentat ging es auch um die Frage: Was wollten die Attentäter. Die These dazu ist: die Gesellschaft spalten. Natürlich galt das erst mal für Frankreich. Aber auch wir, die Nachbarn, sind da besonders betroffen. In NRW leben 1,5 Millionen Muslime. Und die Zeit des Attentats war ja auch die Zeit der Pegida-Demonstrationen. Es waren viele Menschen auf der Straße – und zum Glück waren es mehr Menschen, die gegen Pegida waren. Aber das war eine spannende Zeit. Es ging auch darum: Wie reagiert das Land? Wie geht die Multi-Kulti-Gesellschaft mit der Situation um? Wird sie wirklich gespalten?

Welche Bedeutung hat der Hashtag #jesuischarlie?

Christian Dassel: Zuerst war da das stumme Entsetzen. Der Hashtag hat dem dann eine Stimme gegeben und es einfacher gemacht, Solidarität auszudrücken. Über den Hashtag hat sich auch eine riesengroße Community gebildet, die im Netz diskutiert hat. Später gab es auch weitere Hashtags. Nach #jesuischarlie, der erst mal die Presse- und Meinungsfreiheit meinte, kam dann #jesuisahmed. Er bezog sich auf den französischen Polizisten Ahmed Merabet, der erschossen wurde. Mit ihm konnte man dann auch die Solidarität mit den Muslimen kundtun. Die Hashtags waren also vor allem symbolisch wichtig. Als Zeichen Richtung Frankreich, als Zeichen der Solidarität. Ich glaube aber auch, dass sie auch eine Diskussionskultur geschaffen haben, vor allem im Netz. Das spielt bei uns im Film auch eine zentrale Rolle.

Wie viel #jesuischarlie ist Christian Dassel?

Christian Dassel: Ich bin Journalist. Natürlich bin ich zwangsläufig Charlie. Natürlich bin ich für Meinungs- und Pressefreiheit. Aber es hat sich ja dann eben rausgestellt, dass noch viel mehr als die Meinungs- und Pressefreiheit in der Diskussion war: das multikulturelle Zusammenleben. Und wenn #jesuischarlie auch das meint, bin ich das natürlich auch. Das Schreckliche an dem Attentat ist ja, dass das es jeden einzelnen so sehr betrifft – unsere bürgerlichen Grundrechte, das Zusammenleben unserer Kulturen.

Ihr habt noch einen Film mit einem Hashtag gemacht. #weltuntergang. Wie ist die Beziehung zwischen den beiden?

Christian Dassel: In der Reihe ging es uns darum, aktuelle Zeitgeschichte aufzugreifen. Dinge, die jüngst passiert sind und die uns alle betreffen. #weltuntergang war dieser krasse Sommer. Jeder weiß, wo er war, als Sturmtief Ela über NRW gefegt ist. Jeder weiß aber auch noch, wie ihn die Nachricht ereilt hat, dass die Redaktion von Charlie Hebdo angegriffen wurde und Menschen erschossen worden sind. Es geht bei den Filmen also auch ein bisschen um diesen "Wo-warst-Du-als-…?"-Faktor und auch um den Traffic, der sich nach den Ereignissen im Netz gebildet hat.

Wie seid ihr vorgegangen?

Christian Dassel: Wir haben erst mal das Archiv durchgeackert. Die ganze aktuelle Berichterstattung von WDR aktuell, der Aktuellen Stunde, von WDR extra. Dann haben wir überlegt: Welche Themenkomplexe haben noch damit zu tun? Im Mittelpunkt steht erst mal die Tat, aber das geht ja viel weiter. Es geht zum Beispiel um die Frage: Welche Rolle hat der Islam? Wie geht der Islam damit um? Wie reagiert Pegida? Wie reagieren wir auf Pegida? Wie reagiert der Karneval? Was ist Salafismus und wie rutscht man da rein? Als wir die Themenfelder abgesteckt hatten, haben wir dann nach Gesprächspartnern gesucht.

Gibt es einen Satz aus den Dreharbeiten, der besonders hängen geblieben ist?

Christian Dassel: Ja, zum Beispiel einer vom Düsseldorfer Karnevalswagenbauer Jacques Tilly. Er hat gesagt: "Auch Muslime haben das Recht, verspottet zu werden." Das ist ein guter Satz. Wir in NRW sind alle gleich – auch an diesem Punkt. Hängengeblieben ist aber auch die These von Navid Kermani zur Verantwortung des Islam.