Streitfall: Hat Mohammed gelebt?

Debatte unter Islamwissenschaftlern

Stand: 08.10.2008, 00:00 Uhr

Islam-Professor Kalisch aus Münster bezweifelt, dass Prophet Mohammed gelebt hat. Eine Ansicht, die für die muslimischen Verbände mit ihrem Glauben nicht vereinbar ist. Auch in der Islamwissenschaft ist Kalischs Position umstritten.

Von Dominik Reinle

Seit 2004 leitet Muhammad Sven Kalisch das "Centrum für religiöse Studien" an der Universität Münster. Dort sollte der Professor Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbilden. Doch seit Anfang September 2008 gibt es einen öffentlich ausgetragenen Streit zwischen Kalisch und dem Koordinierungsrat der Muslime (KRM). Die muslimischen Verbände haben die Zusammenarbeit mit dem Professor, dem ersten Inhaber eines Lehrstuhls für islamische Theologie in Deutschland, aufgekündigt. Grund dafür sind unter anderem Kalischs Zweifel an der historischen Existenz von Prophet Mohammed. Für die Verbandsvertreter passt diese Haltung nicht zu den Grundsätzen der islamischen Lehre. Die Frage, ob der Religionsstifter tatsächlich gelebt hat, ist allerdings nicht nur eine Glaubensfrage. Sie wird auch auf wissenschaftlicher Ebene kontrovers diskutiert.

Unklare Quellenlage

Weitgehend einig sind sich die Islamwissenschaftler in Deutschland darin, dass die Quellenlage schwierig ist: "Wir haben keine direkten Zeugnisse von Mohammed", sagt Marco Schöller, Mohammed-Biograf und Professor für Islamwissenschaft an der Universität Münster. "Wir müssen uns auf schriftliche Überlieferungen verlassen, die nach seinem Tod im Jahr 632 aufgeschrieben worden sind." Dem pflichtet auch Kalisch bei: "Wir haben erst ab dem neunten Jahrhundert Quellen, mit denen wir arbeiten können." Aus diesem Sachverhalt ziehen die Wissenschaftler jedoch unterschiedliche Schlussfolgerungen.

Schöller schätzt, dass rund 80 Prozent der deutschen Islamwissenschaftler der Auffassung sind, dass Mohammed existiert hat. Die Geschichte von Mohammed lasse sich zwar nicht eindeutig rekonstruieren, da die Schriftquellen im Detail möglicherweise nicht zuverlässig seien, weil sie sich zum Teil widersprächen. "Aber dass es irgend eine Geschichte des Propheten gegeben hat, wird nicht bestritten." Das sei der große Konsens der Islamwissenschaft, den auch er vertrete. Auch für Mohammed-Biograf Tilman Nagel ist klar: "Natürlich hat Mohammed gelebt." Es sei unsinnig, das Gegenteil zu behaupten. "Genauso könnten Sie auch behaupten, Platon habe nicht gelebt, weil Sie aus seinen Lebzeiten keine Aufzeichnungen von ihm haben", sagt der emeritierte Professor für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Göttingen.

"Muhammad war ein Hoheitstitel"

Kalisch, der sich selbst in einer Minderheiten-Position sieht, hingegen sagt: "Wir können weder Mohammeds Existenz noch seine Nicht-Existenz beweisen. Ich tendiere aber zur Nicht-Existenz." Er stützt sich dabei auf seine Arbeit mit islamischen Quellen und die Ergebnisse des Saarbrücker Religionswissenschaftlers Karl-Heinz Ohlig, der ebenfalls die Existenz Mohammeds bezweifelt. Ohlig hält der Mehrheit der Islamwissenschaftler vor, sich unkritisch auf die religiöse Rückschau auf die Mohammed-Figur zu verlassen, anstatt die Zeit des Frühislam historisch zu untersuchen.

"Die zeitgenössischen Quellen zeigen, dass wohl als sicher anzunehmen ist, dass 'Mohammed' zunächst ein Hoheitstitel war für Jesus", sagt Ohlig. Auf Münzen sei das Wort Muhammad zusammen mit christlichen Symbolen wie etwa Kreuzen geprägt worden. "Später hat sich der Hoheitstitel von Jesus gelöst und wurde mit der Zeit als Name eines arabischen Verkünders des Koran aufgefasst", so Ohlig. Um 800 habe sich dann aus der zunächst christlichen Bewegung der Islam gebildet. "Ich glaube zwar nicht, dass man das so exakt rekonstruieren kann, wie Karl-Heinz Ohlig das macht", sagt Kalisch. Aber den Ansatz von Ohlig hält er für bedenkenswert, gerade auch im Hinblick auf die Existenz Mohammeds.

Nur eine Verschwörungstheorie?

Ganz anders sehen das Vertreter der Mehrheitsmeinung unter den Islamwissenschaftlern. "Es hat schon häufiger Versuche gegeben, eine Fortsetzung des Juden- und Christentums im Islam zu behaupten. Aber die Quellen geben das einfach nicht her", sagt Nagel. Auch für Schöller gibt es eine solche Verbindung nicht: "Ich sehe kaum Ansatzpunkte zum Christentum." Denkbar für ihn sei allenfalls eine Nähe des Islam zum Judentum. "Diese Hypothese macht mehr Sinn", sagt Schöller. Denn die Figur eines Propheten finde sich auch in der jüdischen, jedoch nicht entsprechend in der christlichen Tradition.

Für Schöller klingt die Hypothese, Mohammed habe nicht gelebt, eher wie "eine Verschwörungstheorie". Unter den damaligen Bedingungen sei es aber nicht vorstellbar, dass jemand eine solche Verschwörung habe durchsetzen können, ohne Spuren zu hinterlassen. "Solche Hinweise haben wir aber nicht", sagte Schöller. Nagel gibt zu bedenken, dass nur ein "Superhirn" zu einer solchen Inszenierung in der Lage gewesen wäre: "Wenn man das verficht, muss man auch belegen, wann wie und warum das erfunden worden ist."

Solidarität mit Kalisch

Trotz aller Differenzen können sich die Islamwissenschaftler immerhin auf einen gemeinsamen Nenner einigen: die Freiheit der Wissenschaft. "Ich bin mit Kalisch auf der wissenschaftlichen Ebene nicht d'accord, aber ich fordere selbstverständlich, dass er die Freiheit haben muss, diese Dinge zu lehren und wissenschaftlich zu begründen", sagt Nagel, der eine Solidaritätserklärung für Kalisch unterschrieben hat. "Ich bin der Auffassung, dass Religionslehrer selbstverständlich auch mit Gedankengut vertraut gemacht werden müssen, das ihrem Glauben zuwiderläuft." Ohlig findet an Kalisch beeindruckend, dass dieser es wage, seine Erkenntnisse auszusprechen, obwohl er Muslim sei. "Das nötigt einem Hochachtung ab. Das ist riskant", sagt Ohlig. Kalisch selbst meint: "Der einzige Grund, warum es über mich so einen Hype gibt, besteht darin, dass ich das, was ich gesagt habe, als Muslim gesagt habe. Wenn ich einfach der Islamwissenschaftler Kalisch wäre, hätte sich kein Mensch darum gekümmert."