Netzwerken heute und morgen

Fünf Euro für garantierte Privatsphäre

Stand: 22.08.2011, 11:14 Uhr

20 Millionen Deutsche sind bei Facebook, viele sind zusätzlich in anderen Netzwerken. Online ist Alltag - aber hat das auch Folgen? Ja, sagt die Medienpsychologin Sabine Trepte. Viele sehnen sich wieder nach Privatheit.

Prof. Dr. Sabine Trepte

Sabine Trepte

Sabine Trepte ist seit 2006 Juniorprofessorin für Medienpsychologie an der Hamburg Media School und der Universität Hamburg, zuvor studierte sie unter anderem in Köln und in den USA. In der Studie "Sozialisation im Social Web" untersuchten sie und Co-Autor Leonard Reineke die "Wirkung des Web 2.0 auf den Stellenwert von Privatsphäre und die Bereitschaft zur Preisgabe intimer Informationen" in der Zeit vom 1. April 2009 bis zum 30. Juni 2011.

WDR.de: Sie haben gerade Ihre Studie zum Thema "Sozialisation im Social Web" abgeschlossen - welche Beobachtung hat Sie überrascht?

Sabine Trepte: Wir haben herausgefunden, dass Menschen ihr Bedürfnis, sich selbst zu offenbaren, mit der Nutzung von sozialen Netzwerken verändern. Sie waren im Laufe der Zeit bereit, immer mehr von sich preiszugeben. Das betrifft nicht nur Menschen, die generell gern von sich berichten.

WDR.de: Weil Netzwerken erst sinnvoll wird, wenn man Informationen herausgibt?

Trepte: Es gibt eine Norm, praktisch einen Brauch der Selbstoffenbarung in den Netzwerken. Das ist das eine. Zum anderen wird sie auch belohnt. Denn alles, was ich von mir preisgebe, wird schnell mit Kommentaren versehen: Ich bekomme Feedback und mehr Freunde. Je mehr ich preisgebe, desto mehr bekomme ich auch zurück - und desto eher findet die psychologische Veränderung statt.

WDR.de: Verändert all das (Mit-)Teilen in Netzwerken auch das Verständnis von Privatsphäre?

Trepte: Es gibt Menschen, die gern in sozialen Netzwerken sind, aber die keine Lust haben, von den Anbietern skaliert, analysiert und vermarktet zu werden. Viele Menschen schätzen die Freiheit des Internets. Wenn diese Freiheit aber mit dem Verlust von Anonymität und Privatheit verknüpft ist, werden sie einfach weniger online stellen. Man wird wieder eher kryptische Namen und Bilder sehen. Das ist eine erste Tendenz, die wir bereits jetzt auf Facebook beobachten.

Ich erwarte, dass es bald Alternativen geben wird, bei denen Nutzer fünf Euro pro Monat bezahlen - dafür werden dort die Privatsphäre und die Rechte der Nutzer stärker geachtet. Es gibt bereits jetzt eine aufkeimende Gruppe von Usern, die sich danach sehnt. Anbieter werden in Kürze erkennen, dass da ein Markt ist.

WDR.de: Das klingt, als stünden wir kurz vor einem Wendepunkt. Andererseits nutzen gerade neue Technologien für Smartphones sogar verstärkt persönliche Daten.

Trepte: Ja, besonders bezogen auf Location-based Services und Gesichtserkennung müssen Wege gefunden werden, die Privatsphäre besser zu schützen. Google möchte bald eine Gesichtserkennung anbieten, mit der es möglich wird, netzweit Übereinstimmungen zwischen Fotos zu finden. Die Technologie dafür gibt es längst.

Ich fotografiere also jemanden mit meinem Smartphone, durch einen Fotovergleich finde ich sein Profil in einem Netzwerk und über die Suchmaschine auch andere Informationen über ihn, die online verfügbar sind und bei denen ein Foto hinterlegt ist.

Einige Unternehmen stellen beispielsweise die Kurz-Lebensläufe ihrer Mitarbeiter online. Zukünftig müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter besser schützen. Vermutlich wird aufgrund dieser Entwicklungen in Zukunft weniger Persönliches und Personalisiertes online gestellt. Die Frage ist, ob wir das wollen.

WDR.de: Sie sprechen auch Location-based Services an, Dienste also, die Daten über den Aufenthaltsort des Nutzers verwenden, um ihm besondere Informationen oder Angebote zu liefern.

Trepte: Ja, bezogen auf die Privatsphäre sind diese Dienste sehr bedenklich. Denn die meisten User wissen nicht genug über die Einstellungen ihrer Computer und Smartphones und wissen deshalb häufig nicht, wann sie getrackt werden, wann also ihr Aufenthaltsort übermittelt wird, und wann nicht. Die Daten werden jedoch registriert und es wird geschaut, welche Bewegungen von Userströmen gibt es. Wer kauft wo wann was und vernetzt sich dabei mit wem? Daraus werden Ableitungen gemacht zur Vermarktung von Produkten oder personalisierter Werbung. Trotzdem glaube ich, dass es im Bereich der Location Based Services interessante Anwendungen geben wird - sie müssen dann nur von den Usern richtig genutzt und von den Unternehmen respektvoll angeboten werden.

WDR.de: In den USA ist diese Technik längst schon Gegenwart, bei uns nur vereinzelt. Welche Wechselwirkungen zwischen "Online-" und "Offline-Leben" gibt es schon jetzt?

Trepte: Das ist genau die Frage, die spannend ist: Sind das zwei Schauplätze oder verbindet sich das? Ich gehe davon aus, wir Online- und Offline-Welt nicht mehr trennen können, weil sich die Erfahrungen aus beiden Welten immer weiter vermischen.

WDR.de: Wie wichtig ist das Online-Leben für den Alltag - gibt es noch eine "digitale Identität"?

userin mit laptop und jugendliche

Wer online viele Freunde hat, trifft sie auch offline

Trepte: "Digitale Identität" ist etwas, das wir in den 2000er-Jahren hatten. Heute ist Online-Leben in den Alltag integriert - gerade durch die sozialen Netzwerke. Ich habe nicht den Eindruck, dass Menschen eine zweite oder dritte digitale Identität unterhalten. In Ansätzen sehen wir schon jetzt, dass etwa Leute, die online viele Freunde haben, auch offline viele Freunde haben. Wir sind in der Ära der Authentizität angekommen, was die Netzwerke anbelangt. Ende der 2000er war es die Ära der Selbstdarstellung, in der jeder versucht hat, über seine persönliche Website möglichst viele Extremsportarten zu präsentieren – auch in den sozialen Netzwerken ging es darum, eine möglichst große Masse an Online-Freunden anzusammeln. Das erscheint mir passé.

WDR.de: Freundschaften werden also auch online gepflegt. 20 Millionen Deutsche tun das über Facebook. Reicht ein Netzwerk? In wie vielen kann man im Alltag überhaupt sinnvoll aktiv sein?

Trepte: Die meisten sind in bis zu drei Netzwerken registriert, aktiv aber hauptsächlich auf Facebook. Xing wird von vielen als Adressdatenbank verwendet und eine dritte Plattform wie etwa Linkedin, um internationale Kontakte zu halten. Und Wer-kennt-wen, um Leute zu suchen. Alle Netzwerke haben spezifische Funktionen und man nutzt sie für unterschiedliche Dinge.

WDR.de: Was bedeutet all das für "Offliner", die sich aus Netzwerken bisher rausgehalten haben?

Trepte: Im Moment riskieren sie, einfach nicht eingeladen zu werden. Viele Verabredungen werden über Netzwerke geplant und Einladungen verschickt. Es wird für die Einladenden kompliziert, Nicht-Mitglieder extra anzurufen. Das hat nichts mit komplexen sozialen Normen zu tun, sondern ist eine ganz pragmatische Sache, die momentan Leute ausschließt: die Erreichbarkeit.

Das Gespräch führte Insa Moog.